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DSB-Themenwoche: Gewohnheitssache – Routinen und Rituale im Sport

29.03.2021 08:48

Jeder nutzt sie: Ob in der Früh beim Aufstehen, beim Zähneputzen, bei der Arbeit oder eben beim Sport – Routinen und Rituale. Sportlern sollen sie vor allem dabei helfen, ihre Leistung in Drucksituationen abzurufen. Ein Blick hinter die Kulissen.

Bild: DSB / Auch Mannschaften haben vor Wettkämpfen oft ihre eigenen Routinen und Rituale, um sich auf den Wettkampf einzustimmen.
Bild: DSB / Auch Mannschaften haben vor Wettkämpfen oft ihre eigenen Routinen und Rituale, um sich auf den Wettkampf einzustimmen.

Skispringer Markus Eisenbichler klopft sich, kurz bevor er in die Anlaufspur steigt, noch einmal auf die Brust. Schwimmstar Michael Phelps begann eine Minute vor Beginn seines Wettkampfes, seine Füße zu dehnen und sich die Hände am rauen Startblock zu reiben, nur von der Seite auf den Startblock zu steigen, um dort noch einmal den Oberkörper zu dehnen und die Arme schwingen zu lassen. Bundesligaschütze Bernhard Pickl (SG Coburg) biss jahrelang vor dem letzten Schuss noch einmal in seine Banane, die in seiner Schießjackentasche steckte. Und manche Sportler können nicht ohne ihre Glücksunterhose an den Start gehen. Doch warum macht das alles Sinn?

Was ist der Unterschied zwischen Ritualen und Routinen?

Routinen und Rituale geben Sportlern vor allem eins: Halt. Dabei gilt es grundsätzlich, beide Begriffe voneinander zu trennen. Rituale sind häufig an den Aberglauben gebunden. Da gibt es die Glücksbringer am Köcher oder das Bekreuzigen beim Betreten der Schießlinie. Ein symbolischer Charakter, der entlastend auf Sportler wirken kann und ihnen eine gewisse Sicherheit vermittelt. Ein positiver Einfluss auf die Leistung bleibt jedoch meistens aus. Im Gegenteil: Fehlt der Glücksbringer, kann sich das oft negativ auf den Sportler auswirken, weil er denkt, dass ihm das nun Pech bringe und so der Glaube an die eigene Selbstwirksamkeit sinkt.

Routinen hingegen können einen direkten Einfluss auf die Leistung nehmen. Wenn sich ein Bogensportler eine Viertelstunde vor dem Wettkampf erwärmt, sich anschließend noch einmal sammelt, aktivierende Musik hört und am Ende sich den perfekten Schuss noch einmal vor dem inneren Auge ins Gedächtnis ruft, dann sollte sich dies optimalerweise auch positiv auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Ob hingegen der Luftgewehr-Schütze erst den rechten und dann den linken Schießschuh anzieht, sollte keine Auswirkungen auf das anschließende Ergebnis haben.

Zweiter Unterschied ist, dass Routinen einen flexiblen Teil enthalten, der dem Sportler erlaubt, sich auf gewisse Umstände (z.B. Wetter) anzupassen. Weht bei einem Kleinkaliber-Wettkampf starker Wind, so sollte der Schütze die Windbeobachtung vor dem Wettkampf in seine Routine miteinbauen. Rituale hingegen verfolgen einen starren Plan. Zusammenfassend lässt sich sagen: Während Rituale oftmals den Athleten kontrollieren, kontrollieren Athleten immer deren Routinen.

Was bewirken Routinen im Sportler?

Schack (2004) definiert Routinen als „Handlungsmuster, die die optimale Ausführung einer Technik vorbereiten, begleiten und nach der Technikausführung ein Umschalten auf die neue Spielsituation ermöglichen“. Ihr positives Wirken auf die Sportler ist in der Wissenschaft inzwischen unumstritten. So helfen Routinen Sportlern ihre Gedanken zu strukturieren, eine emotionale Stabilität zu erreichen, ihre Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt zu fokussieren und auf aufgabenrelevante Informationen zu achten. Wer seine Routinen fleißig trainiert, hat am Ende auch eine höhere Chance, die Trainingsleistung stabil und erfolgreich unter Wettkampfbedingungen abzurufen. „Das regelmäßige Training von Routinen kann dabei entscheidend dazu beitragen, die Leistung von Sportlerinnen und Sportlern zu stabilisieren und helfen, in kritischen Situationen (z. B. unter hohem Wettkampfdruck) die sportlichen Fertigkeiten konstant und auf hohem Niveau abzurufen“ (Weigelt und Steggemann 2014).

Diese wiederkehrenden Verhaltensmuster werden als Leistungs- bzw. Wettkampfroutinen bezeichnet. Während Leistungsroutinen die Leistung eher vorbereiten und es sich dabei meist um verhaltensbezogene und kognitive Maßnahmen handelt, bleibt der Handlungsvollzug dabei meist unberücksichtigt. Wettkampfroutinen hingegen beziehen sich meist auf die Wettkampfvorbereitung oder eine spezifische Durchführung eines Bewegungsablaufes. Und dabei können sie von ganz unterschiedlicher Länge sein. Während manche Wettkampfroutinen bereits beim Aufstehen beginnen, können andere wiederum nur 30 Sekunden in Form einer Visualisierung eines Schusses dauern. Für den Erfolg kommt es nicht darauf an, wie lang eine Routine ist, sondern vielmehr, dass alle Routineschritte vollständig nacheinander durchgeführt werden. Das bestätigt auch die Wissenschaft, in dem sie aufzeigt, dass es eine enge Beziehung zwischen der mentalen Struktur einer Bewegungsausführung im Sport – also Routinen, die in einer baumartigen Struktur organisiert sind – und der Leistung gibt.

Wie erarbeitet man sich Routinen?

Um sich nun z.B. eine Routine vor dem Wettkampf zu erarbeiten, kann es hilfreich sein, sich den zeitlichen Ablauf von Ereignissen genau aufzuschreiben. Wie viel Zeit hat man vom Aufstehen bis zum Wettkampf? Was muss innerhalb dieser Zeit erledigt werden? Wie viel Zeit bleibt zwischen zwei Wettkämpfen und wann kann man z.B. in dieser Zeit Essen gehen? Reicht die Zeit oder muss man sich etwas Vorbereitetes mitnehmen? Ähnlich ist auch das Verfahren bei Leistungsroutinen, die z.B. einen speziellen Bewegungsablauf darstellen. Durch eine Videoanalyse können hier beispielsweise alle einzelnen Handlungsschritte identifiziert werden, bevor sie zu Knotenpunkten zusammengefasst werden. Mehr dazu, wie man sich einen Handlungsplan erarbeiten kann, gibt es im Laufe der Themenwoche.

Wichtig ist, dass eine Routine alle wirklich wesentlichen Schritte im Ablauf berücksichtigt und auf die Zielhandlung optimiert ist. Denn leistungsfördernd wirkt die Routine erst dann, wenn die einzelnen Routineteile in einem direkten Bezug zur erbringenden Leistung stehen. Aber auch für Routinen gilt: sie müssen geübt werden. Deshalb sollten sie bereits im Training Berücksichtigung finden.

Das Basistraining der Leistungskomponenten zielt auf die Verbesserung der kognitiven, motivationalen und emotionalen Steuerungsprozesse hin. Hierzu zählen die Visualisierungs- und Vorstellungsfähigkeit sowie die Wahrnehmungs-, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung, aber auch Atemübungen oder progressive Muskelrelaxation. Auch die eigene Bewertung der Leistung gehört hierzu.

Startphasentrainings, Finaltrainings oder Abzugstrainings können Beispiele sein, um Teilroutinen zu trainieren. Wie baut man sein Probeschießen auf? Wie viel Zeit bleibt, um die Nullstellung auszurichten? All diese einzelnen Bausteine können im Training analysiert werden, um sie später wieder zusammenzusetzen. Wichtig ist, sich die Zusammenhänge bewusst zu machen: Geht man sauber auf den Druckpunkt, verreißt man seine Schüsse weniger. Klappt das saubere Abziehen bereits und führt zum Erfolg, kann ein weiterer Teil hinzugenommen werden. Einzelne Teile der Routine isoliert zu trainieren, kann somit helfen, Teilaspekte der Leistung zu optimieren.

Aber natürlich ist es auch wichtig, die Gesamtroutine zu trainieren, z.B. durch einen internen Leistungsvergleich, um somit seine Routineelemente unter Wettkampfbedingungen zu überprüfen und gegebenenfalls auch einzelne Teile abzuändern oder neu zusammenzustellen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Routinen dem Sportler als ein roter Faden dienen, an dem er sich vor allem unter Stress entlanghangeln kann. Routinen können helfen, Angstsymptome zu lindern sowie Selbstvertrauen und Stärke aufbauen, Stress zu reduzieren und die Konzentration auf das Wesentliche zu lenken, um am Ende die eigene Leistungsfähigkeit zu steigern.

 

Quellen:

Hanton, S., Wadey, R. & Mellalieu, S. D. (2008). Advanced Psychological Strategies and Anxiety Responses in Sport, The Sport Psychologist, 22:4, 472-490

Schack, T. (2004). The cognitive architecture of complex movement, International Journal of Sport and Exercise Psychology, 2:4, 403-438

Seidl, W. (2020). Mentaltraining: Rituale und Routinen. Zuletzt aufgerufen am 25.03.2021 unter https://www.nordicsports.de/de,de/training-und-technik/medizin-und-ernaehrung/mentaltraining-rituale-und-routinen,article00011944.html

Seufert, K. (2019). Nutzung von Vorstartroutinen. Zuletzt aufgerufen am 25.03.2021 unter https://www.die-sportpsychologen.de/2019/01/kathrin-seufert-nutzung-von-vorstartroutinen/

Velentzas, K., Heinen, T., Tenenbaum, G. & Schack, T. (2010). Functional Mental Representation of Volleyball Routines in German Youth Female National Players, Journal of Applied Sport Psychology, 22:4, 474-485

Weigelt, M., Steggemann, Y. (2014) Training von Routinen im Sport. In: Zentgraf, K.; Munzert, J. (Hrsg.) Kognitives Training im Sport, Hogrefe: Göttingen.

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