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DSB-Themenwoche: Freunde durch den Sport

07.09.2020 09:35

Sport verbindet: Nicht nur, weil man zusammen Siege feiert, sondern weil man gemeinsame Interessen teilt, viel Zeit im Training oder Wettkampf miteinander verbringt, Geschichten schreibt. Aber wen bezeichnet man heute eigentlich als Freund? Gibt es Unterschiede zwischen Freunden und Freunden? Ist ein Freund der, der mir auf Facebook eine Freundschaftsanfrage schickt, oder der, der mit mir gemeinsam im Training schwitzt?

Bild: DSB / Aus Teamkameraden werden nicht selten Freunde fürs Leben.
Bild: DSB / Aus Teamkameraden werden nicht selten Freunde fürs Leben.

„Elf Freunde müsst ihr sein!“ hieß es vom früheren Fußballbundestrainer Sepp Herberger. Ist Freundschaft etwa eine Erfolgsformel für den Sport? Wenn es nach dem niedersächsischen Landestrainer und Bundesligacoach Christian Pinno geht, dann ja: „Freundschaft steht für Vertrauen, gegenseitige Unterstützung, Sympathie und nicht zuletzt für bedingungslosen Zusammenhalt. Diese Attribute können Sportler wie Mannschaften in ungeahnte Leistungshöhen pushen und sind Voraussetzungen, damit ein echtes Team überhaupt funktioniert.“

Freundschaft zählt dabei zu den traditionsreichsten und ältesten sozialtheoretischen Begriffen und entstand schon lange bevor es die Soziologie gab, um aber genau dieses „Soziale“ zu beschreiben. Freundschaft beschreibt genauer gesagt eine soziale Bindung zwischen Menschen. Auf mehr will sich die Wissenschaft aber auch nicht festlegen, denn zu differenziert sei der Begriff, zu viele Ausnahmen machen eine genauere Definition fast schier unmöglich. Georg Simmel (1858-1918) war einer der ersten Soziologen, der sich mit Freundschaft auseinandersetzte. Für ihn ist Freundschaft eine Form der sozialen Wechselwirkung – ein Geben und Nehmen. Wie das Verhältnis der Menschen zueinander ist, entscheide dabei auch die Frage des Wissens umeinander. Denn je mehr ich von jemandem weiß, desto besser kann ich dessen Gesamtpersönlichkeit erfassen. Je kleiner also die Diskretionsreserve ist, desto eher wird eine Beziehung als Freundschaft und weniger als Bekanntschaft gesehen. Denn Freundschaft baut für Simmel auf der ganzen Breite der Persönlichkeit auf. Sport dient dabei häufig als Katalysator, denn man lernt sich schnell besser kennen. Zum einen, weil man viel Zeit miteinander bei Training, Wettkämpfen und Reisen verbringt und zahlreiche gemeinsame Erinnerungen sammelt, die zusammenschweißen. Zum anderen, weil man sich und andere in Extremsituationen kennenlernt. Leistungsdruck, Erfolg und Misserfolg, Freude, Enttäuschung und Selbstzweifel gehören zu einem Sportlerleben unweigerlich dazu. Offen über seine Probleme und Gefühle mit Trainern und Kollegen zu reden, gehört für Sportler genauso dazu, wie sich über Technik und Taktik auszutauschen. So verfügen laut Becker et al. sportaktive Personen häufig über einen größeren Freundes- und Bekanntenkreis, treffen sich häufiger mit Freunden und Bekannten, haben mehr Kontakte und sind in mehr Kontexten organisiert als Nichtsportler.

„Freundschaft steht für Vertrauen, gegenseitige Unterstützung, Sympathie und nicht zuletzt für bedingungslosen Zusammenhalt."

Christian Pinno, Bundesligatrainer SB Freiheit

Freunde können der Grundbaustein sein, am Sport teilzunehmen und Interesse an einer Sportart zu wecken, die man am Ende gemeinsam ausübt. Freunde treffen, Spaß haben, gemeinsam Lachen  - das ist ein großer Motivationsfaktor. Aber auch andersrum können Freunde oder auch zerbrochene Freundschaften ein Grund sein, mit dem Sport aufzuhören. Freunde außerhalb des Sports, die kein Verständnis haben, dass ein Wettkampf wichtiger ist als eine Nacht in der Disco und sich deshalb von einem abwenden. Neid und Missgunst, die Freundschaften zerbrechen lassen und den Spaß am Sport verderben. Und so, wie es Freunde gibt, die sich gemeinsam weiterentwickeln, gibt es Freunde, die sich durch den Sport in verschiedene Richtungen entwickeln. Auch das gehört zum Sport. Doch wir haben die Wahl, wenn es darum geht, wen wir zu unseren Freunden zählen, denn immer geht es laut Bude et al. um das Rätsel freiwilliger Bindungen in einer Gesellschaft der Individuen. Auch jeder Sportler muss seinen individuellen Weg an die Spitze finden, manchmal egoistisch sein, wenn es darum geht herauszufinden, was das Beste für einen ist, um Höchstleistung zu vollbringen und eine starke Persönlichkeit aufzuweisen, um mit all dem Druck umgehen zu können, der auf Leistungssportlern lastet. Wie passen hier Freundschaften rein?

Bild: DSB / Trainer Mario Gonsierwoski zählt viele seiner Wegbegleiter inzwischen zu seinen Freunden, wie hier Olympionike Daniel Brodmeier.
Bild: DSB / Trainer Mario Gonsierwoski zählt viele seiner Wegbegleiter inzwischen zu seinen Freunden, wie hier Olympionike Daniel Brodmeier.

Soziologe Siegfried Kracauer zeigt noch einmal den Unterscheid verschiedener sozialer Beziehungen auf: Während Kameraden nur auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten, bei dem die Persönlichkeit eines jeden Einzelnen hinten angestellt wird, sind Bekanntschaften zunächst eher zufällige Begegnungen. Zu den Bedingungen wahrer Freundschaft zähle hingegen ein Persönlichkeitsbewusstsein, Liebe, Zuneigung sowie Gemeinsamkeiten bei wesentlichen Vorstellungen. Vor allem Letzteres dürfte bei Sportlern ein starkes Motiv sein. So ist es nicht verwunderlich, dass auch zu Mario Gonsierowskis Freunden, er ist Bundesstützpunkttrainer Gewehr in Garching, größtenteils ehemalige Wegbegleiter zählen, auch wenn jemand anderes die ganz große Hauptrolle in Sachen Freundschaft spielt: „Meine Frau ist zugleich meine beste Freundin! Die meisten meiner Freunde habe ich jedoch im und durch den Leistungssport gewonnen, mit dem ich nunmehr über fünf Jahrzehnte eng verbunden bin. Es sind ehemalige Sportkameraden aus meiner aktiven Zeit sowie Trainerkollegen, mit denen ich meine Leidenschaft für das leistungssportliche Gewehrschießen teile. Und auch Sportler gehören dazu, mit denen ich viele, viele Jahre vertrauensvoll zusammengearbeitet habe und gemeinsam durch Höhen und Tiefen des Spitzensportes gegangen bin.“ Es ist das gegenseitige Vertrauen, das sich über die Zeit aufbaut, die gleichen Interessen, ähnliche Ziele, gemeinsame Geschichten und tausend weitere Puzzleteile, die am Ende zu diesen Freundschaften im Sport beitragen und die Grenzen überwinden können.

Das zeigt sich auch, wenn man auf die internationale Ebene des Sports blickt. Hier sind viele Sportler auch über Grenzen hinweg miteinander befreundet. Eine Freundschaft, die sich meist auf Weltcups, Trainingslagern und internationalen Wettkämpfen entwickelt hat. Dass Sport ein hervorragendes Mittel zur Integration ist, bestätigt auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB): „Sportvereine können Menschen, die nach Deutschland kommen und sich fremd in unserer Kultur fühlen, wichtige Begegnungen und Gemeinschaftserlebnisse bieten. Bei Bewegung, Spiel und Wettkampf finden Menschen unterschiedlichster Herkunft schnell eine gemeinsame Sprache.“ Sport führt Menschen zusammen, die ansonsten vielleicht nie zusammengefunden hätten – im Verein, im Nationalkader, bei Wettkämpfen. Ganz egal, woher sie kommen, wie sie aussehen, welches Geschlecht sie haben oder wie alt sie sind. Denn wie bereits die DSOB-Integrations-Kampagne schön zeigt: Alle kommen vom Sport.

„Ich nenne sie Lieblingsmenschen, meine Freunde. Es sind die Menschen, denen ich uneingeschränkt vertraue und die mich durch ihre ehrliche und zuverlässige Art beeindrucken“, so Gonsierowski, für den es eine Ehrensache ist, dass sich auch seine Freunde auf ihn verlassen können und für den ein Zitat von Daniel Defoe seine Einstellung und Gefühle am Besten beschreibt: „Die Freundschaft fließt aus vielen Quellen, am reinsten aber aus dem Respekt!“

Quellen:

Becker, S., Häring, A. Soziale Integration durch Sport?. Sportwiss42, 261–270 (2012). doi.org/10.1007/s12662-012-0243-y

Bude, H. Soziologie der Freundschaft. Berlin J Soziol27, 547–557 (2017). doi.org/10.1007/s11609-017-0344-4

Schobin, J., Leuschner, V., Flick, S., Alleweldt, E., Heuser, E. A., & Brandt, A. (2016). Freundschaft heute. Eine Einführung in die Freundschaftssoziologie. Mit Gastbeiträgen von A. Knecht, Ch. Kühner und K. Marquardsen. Bielefeld: transcript.

DOSB (30.07.2018). Freunde geworden. Zuletzt aufgerufen am 03.09.2020 unter integration.dosb.de/sonderseiten/news/news-detail/news/freunde-geworden/

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