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DSB-Themenwoche: „Olympiasieger zu werden ist Kopfsache“ - ein Interview mit Barbara Engleder

24.09.2020 11:44

„I hob’s eich olle zoagt“ – Ein Schrei der Befreiung, ein Strahlen über das ganze Gesicht. So beendete Barbara Engleder am 11. August 2016 in Rio de Janeiro ihre internationale Karriere – mit nichts geringerem als dem Olympiasieg. Vier Jahre später weiß man noch nicht, ob die nächsten Olympischen Spiele überhaupt stattfinden, aber sollten sie es, dann auf jeden Fall ohne die amtierende Olympiasiegerin im KK-Dreistellungskampf. Im Interview erzählt Engleder, was sich seither in ihrem Leben verändert hat, was nun ihr größtes Ziel ist und welchen wertvollen Tipp sie den Olympia-Sportlern mit auf den Weg geben möchte.

Bild: ISSF / Ein Schrei der Befreiung als Barbara Engleder in Rio ihr Ziel erreicht hatte.
Bild: ISSF / Ein Schrei der Befreiung als Barbara Engleder in Rio ihr Ziel erreicht hatte.

Über vier Jahre ist es jetzt her, als du mit dem Olympiasieg deinen größten sportlichen Erfolg feiern durftest. Nimm uns mit auf die Reise, was seither passiert ist…

Barbara Engleder: „Die Zeit nach den Spielen war eine sehr schöne, wenn auch rasante Zeit. Ich habe die letzten Jahre versucht, dass ich beruflich vorwärts komme, habe meine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten abgeschlossen und bin jetzt im Bauamt in Triftern, meiner Heimatgemeinde, eingesetzt. Ich bin heilfroh, dass diese Fahrerei ein Ende hat. Letztes Jahr hat sich dann noch einmal überraschend Nachwuchs angekündigt, mit dem ich selbst nicht gerechnet habe. Jetzt bin ich nicht nur einfache, sondern zweifache Mama und das ist fantastisch. Ich führe ein Leben zwischen Flasche und Hausaufgaben machen. Es hat sich seither also alles verändert!“

"Du musst nicht immer der Beste sein, du musst nur an diesem Tag der Beste sein."

Barbara Engleder, Olympiasiegerin KK 3x20

Du hast dein Leben also vom Profi-Sportler zur Profi-Mama getauscht. Gibt es Parallelen?

Barbara Engleder: „Natürlich! Wenn du sportlich erfolgreich warst, mit diesem Plan im Hinterkopf, den du durchsetzen hast können, dann bist du irgendwie auch in der Familie ein bisschen gechillter und nimmst nicht alles so schwer. Man müsste meine Kinder fragen, ob ich eine gute Mama bin, aber ich glaube, ich bekomme es ganz gut hin. Und ein bisschen Zeit für das Schießen bleibt auch noch, denn ich könnte es nie ganz hinten lassen.“

Du warst immer zwischen den besten Sportlern auf der ganzen Welt unterwegs, jetzt startest du in der Bayernliga. Hast du trotzdem noch den gleichen Ansporn?

Barbara Engleder: „Voll! Ich bin so ehrgeizig! Ich trainiere nichts, aber wenn ich am Stand stehe, im Mann-gegen-Mann-Modus, dann schaltet sich alles um. Das hast du drin, wenn du den Sport 20 Jahre gemacht hast, dann willst du gewinnen und gibst keinen Schuss auf. Mittlerweile brauche ich statt 17 Minuten eher an die 30, aber eben auch nur, weil ich so viel absetzen muss, weil ich keinen Schuss verloren geben will. Natürlich sind meine Leistungen nicht mehr die von früher, aber ab und an haut es mir schon wieder einen raus und das freut mich. Ich hätte auch Hammelklasse (niedrige Klasse, Anm. d. Red.) geschossen, denn ich wollte einfach wieder in meinem Heimatverein schießen, denn es geht mir vor allem um das gemütliche Beisammensein.“

Machst du den Schießsport also vor allem für dich, oder möchtest du auch deinem Verein etwas zurückgeben?

Barbara Engleder: „Natürlich möchte ich meinem Verein etwas zurückgeben, aber vor allem mach ich es für mich, denn es würde mir etwas abgehen. Du kannst bis zu einem gewissen Grad zurückfahren, aber wenn du diesen Sport dein halbes Leben lang gemacht hast, dann kann ich das nicht einfach wegschieben. Nach der Geburt meines zweiten Sohnes konnte ich es kaum erwarten wieder an den Schießstand zu kommen. Wer rastet, der rostet. Sich ein bisschen hinzustellen, zu schäkern und alte Bekannte wieder zu sehen, gefällt mir sehr gut, das möchte ich nicht wissen.“

Jetzt sind vier Jahre vergangen, ist dir trotzdem der Tag deines Olympiasiegs noch im Kopf präsent? Kommen die Gefühle wieder hoch?

Barbara Engleder: „Ich habe mich damals unglaublich gefreut, was wahrscheinlich viele gesehen haben und viele haben sich mit mir gefreut. Das ist das Allerschönste, wenn man es teilen kann. Ich werde das nie vergessen. Wenn man mir heute ein Video zeigen würde, hätte ich inzwischen sicher ein paar Details vergessen. Aber ich weiß noch ganz genau, wie das Licht dort war, wie es gerochen hat, aber ich könnte dir nicht mehr sagen, wer mir die Medaille umgehangen hat. Ich weiß nicht mal mehr, was ich geschossen habe, aber das was rauskam, das war das Wichtigste.“

Der Olympiasieg ist das Höchste, was man im Schießsport erreichen kann. Wie hat sich dein Leben in der Öffentlichkeit dadurch verändert?

Barbara Engleder: „Man muss selbst dazu helfen, um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu bekommen, denn Schießen ist nicht der publikumsintensivste Sport. Wir hatten ein absolutes Glück, dass viele Schützen eine Medaille geholt haben und wenn man auf diese Welle mitaufspringt, dann hat man eine Chance Sponsoren zu werben und in bestimmte Kreise reinzukommen. Ich war damals bereits am Ende meiner Karriere und habe das deshalb nicht gemacht, aber ich versuche mit meinem Namen junge Schützen zu motivieren und ihnen etwas zu zeigen, ihnen zu sagen, dass man nichts Besonderes sein muss, um etwas zu erreichen. Man muss sich nur reinhängen, dann kann man es schaffen. Jeder, der etwas wissen möchte, bekommt von mir eine Antwort. Mir wäre wichtig, dass ich etwas weitergeben kann.“

Du motivierst also junge Sportler, den Weg in den Leistungssport einzuschlagen?

Barbara Engleder: „Genau. Das ist mir das Wichtigste.“

Nach den letzten Olympischen Spielen haben viele Leistungsträger wie du,  Daniel Brodmeier und Henri Junghänel im Gewehrlager aufgehört. Bis jetzt gibt es noch keinen Quotenplatz bei den Herren. Wie schätzt du die Situation ein?

Barbara Engleder: „Wie man so hoch fahren kann und dann so tief fallen kann, ist mir immer noch ein Rätsel. Es waren gute junge Leute da, aber vielleicht fehlt in Moment ein wenig die Leitfigur. Aber man muss jetzt umdenken und die Leute anders motivieren. Die jungen Leute bröckeln weg und sind nicht mehr so interessiert am Schießsport – jetzt muss man etwas anders machen und versuchen, die Leute wieder zu motivieren.“

Hättest du eine Idee, wie das funktionieren kann?

Barbara Engleder: „Man muss moderner werden, es muss ein frischer Wind reinkommen. Man muss das Schießen verkaufen als einen richtig erstrebenswerten, tollen Sport. Jeder, der das leistungsmäßig betrieben hat, weiß das, aber die Jungen wissen es nicht. Die gehen lieber Fußballspielen oder zocken stundenlang vorm Computer. Ihnen muss man zeigen, dass man im Schießsport richtig tolle Bekanntschaften und Freundschaften schließen kann und man richtig Spaß dabei haben kann. Das ist das, was man durch neue Medien vermitteln muss. Ich würde überall rumfahren und sagen: Probiert es aus! Natürlich brauchst du dann immer welche, die den Biss haben, aber die wirst du immer brauchen und die wird es auch immer geben, die das schaffen wollen. Aber zuerst musst du die Leute dahin bringen.“

Leute mit Biss, die es letztendlich vielleicht bis zu den Olympischen Spielen schaffen. Jetzt gibt es ja bereits ein paar Quotenplätze und es werden Schützen zu Olympia fahren. Gibt es einen Tipp, den du ihnen gerne mitgeben würdest?

Barbara Engleder: „Ich war auf vier Olympischen Spielen und in Peking und London war ich in einer wahnsinnig guten Verfassung, in Rio wiederum war mein Trainingszustand auf Grund meines kleinen Sohnes nicht der Beste – und auch meine Ehe hätte das nicht mehr lange durchgemacht, denn wenn du deinen Trainer öfter siehst als deinen Mann, ist das schwierig. Aber ich glaube, dass das „Olympiasieger werden“ ganz viel Kopfsache ist. Du brauchst dich im Training nicht reinsteigern, wenn es einmal nicht so läuft. Es ist ganz simpel und einfach gesagt, ob ich das rocken kann oder nicht, entscheidet der Kopf. Ich bin in Rio mit einer ganz anderen Einstellung rangegangen. In Peking und London musste es hundertprozentig etwas werden, in Rio habe ich gesagt: Schauen wir einmal, was passiert. Wenn man mit einer gesunden Distanz ran geht und man immer einen Plan B hat, dann tut man sich leichter. Mein Plan B war meine Familie Zuhause, aber das ist ein wichtiges Detail, das man ausgeglichen ist und dann die Leistung abrufen kann. Natürlich musst du technisch gut drauf sein und natürlich müssen die Schüsse dort hinfliegen, wo du sie hinschießt, aber du musst nicht immer der Beste sein, du musst nur an diesem Tag der Beste sein.“