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DSB-Themenwochen: „Jeder Wettkampf ist eigentlich nur ein Meilenstein und eine Gelegenheit zu lernen“

23.09.2020 12:07

Vom ersten Sieg bis zu Olympia: Gewehr-Nachwuchstrainer Claudia Kulla und Trap-Bundestrainer Uwe Möller beschäftigen sich tagtäglich damit, wie man am besten Ziele erreicht – die eigenen, wie auch die der Schützen. Auf was sie dabei setzen, was besonders bei Jugendlichen wichtig ist und wie sie ihre Schützlinge auf den richtigen Weg in Richtung Ziel bringen, erklären sie im Doppel-Interview.

Bild: Trainerin Claudia Kulla beobachtet ihre Sprösslinge genau, um in der Analyse die Ziele justieren zu können.
Bild: Trainerin Claudia Kulla beobachtet ihre Sprösslinge genau, um in der Analyse die Ziele justieren zu können.

Wie wichtig ist es sich vor einer Saison seine Ziele klar zu definieren? Sowohl als Trainer als auch als Sportler?
Kulla: „Grundsätzlich machen Ziele Sinn, weil sie nahbarer machen und einen Dinge strukturierter angehen lassen. Ein Ziel ist etwas, was ich als erstrebenswert erachte und gleichzeitig für erreichbar halte, auch wenn es anspruchsvoll ist. Das heißt, ich habe eine Methodenkiste und Ressourcen, mit denen ich glaube, dorthin kommen zu können. Das Ziel gibt dir die Perspektive und führt dazu, dass du den Weg dorthin ökonomischer beschreitest, als wenn es mit zu viel Versuch und Irrtum versehen ist. Trainer und Sportler haben jedoch ganz andere Ziele. Bei den Junioren sind es oft sehr individuelle Ziele, die oft am Anfang noch gar nicht reflektiert vorliegen, sondern in einem Gespräch herausgearbeitet werden. Neulinge, die in den Kader kommen, werden auf eine solche Frage nichts wissen. Dort gilt es, Ziele zu definieren, wie z.B. „Ich will mich einleben und durch meine Leistung etablieren“, „Ich will als Mensch in der Gruppe ankommen“ usw. Diejenigen, die kommen und sagen: „Ich will zu den Olympischen Spielen“, sind absolut in der Minderheit.“

Möller: „Das ist sehr wichtig, denn ein Ziel braucht man, damit man weiß, wo es hingeht. Und wenn man weiß, wo es hingeht, muss man seinen Weg danach ausrichten. All die Planung hängt davon ab. Ich möchte da ein Zitat von Ralf Schumann anmerken, der sagte: "Wer sein Ziel kennt, muss auch den Weg wissen.“

Erst einmal braucht man vielleicht einen großen Traum, aber die kleinen Schritte ergeben am Ende den zielführenden Weg.

Uwe Möller, Bundestrainer Trap

Helft ihr Trainer bei der Definition von Zielen? Gibt es Maßnahmen?
Kulla: „Anfangs hatte ich einen Zettel, auf dem draufstand: Das möchte ich bei diesem Wettkampf erreichen. Aber das ist nach meiner heutigen Sicht kontraproduktiv. Es macht mehr Sinn über das ganze Jahr nachzudenken, denn es spielt bei den Junioren nicht nur der internationale Wettkampfkalender mit rein, sondern auch, in welcher Schulklasse sie gerade sind, ob Abschlüsse anstehen usw. Eine individuelle Betrachtungsweise ist zwingend erforderlich und wird meistens in einem Gespräch erarbeitet. Auch dann wird der Sportler noch nicht rausgehen und sagen: ‚Das ist jetzt mein Ziel!‘ Vielmehr hat sich für ihn ein Weg geebnet und das, was wir als Rahmen bieten, ist automatisch der Weg, der ihn da hinführt.“

Möller: „Wir versuchen das im gemeinsamen Gespräch herauszufinden und gemeinsame Ziele zu definieren. In diesem Jahr war das sicher schwierig, weil oftmals die Kommunikation fehlte. Bei vielen waren die Ziele durch die lange Pause nicht mehr so richtig definiert, und da ist es als Trainer die Kunst, die Motivation wieder anzukurbeln.“

Was passiert, wenn die Ziele der Trainer und Schützen auseinanderklaffen?
Kulla: „Das passiert sehr häufig in Wettkämpfen, denn viele muten sich dort mehr zu, als sie eigentlich können und werden dadurch zu früh wütend. Das hilft bekanntermaßen nicht. Hier muss man die Leute rausholen, auffangen und ihnen zeigen, wie man sich besser steuert. Ich bin ein Freund von realistischer Zielstellung, denn wenn Ziele zu hoch gesteckt sind, ist es demotivierend, wenn du sie nicht erreichst. Ziele müssen so gesteckt sein, dass wenn du dich aufrecht hinstellst, dich auf die Zehenspitzen stellst und die Arme ausstreckst, das Ziel fünf Zentimeter darüber ist.“

Möller: „Auf jeden Fall das Gespräch suchen, um alles auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und alle Faktoren – egal, ob beruflich oder privat – mit einzubeziehen und an den richtigen Stellschrauben zu drehen. Man muss am Ende gemeinsam an einem Strang ziehen.“

Gilt dabei lieber groß Träumen, oder kleine Schritte sind die wichtigen?
Kulla: „Der Schritt ist der Anfang des Weges, aber du musst wissen, wo du hinwillst. Dafür brauchst du Ressourcen, Erfahrung von anderen, aber auch eine realistische Selbsteinschätzung. Jeder Olympiasieger wird dir sagen, dass er sich das schon immer gewünscht hat, aber man darf nicht vergessen, dass ein paar Tausend andere sich das auch so gewünscht haben und auch daraufhin gearbeitet haben, aber auf dem Weg dorthin irgendwas anders gelaufen ist.“

Möller: „Beides ist wichtig. Erst einmal braucht man vielleicht einen großen Traum, aber die kleinen Schritte ergeben am Ende den zielführenden Weg.“

Inwiefern unterscheidet sich die Zielsetzung bei den Junioren von der der Erwachsenen? Bei wem muss man auf was achten?
Kulla: „Es gibt verschieden Arten von Zielen. Das eine sind sogenannte Outcome-Goals, wie z.B. Europameister zu werden, das andere sind Prozessziele, die sich auf meine Handlung fokussieren und dadurch meine Leistung verbessern, wie z.B. in 80 Prozent der Stehendschüsse gut nachzuhalten. Damit lenke ich vielleicht den Schützen von seinem Ziel ab, ins Finale kommen zu wollen, aber er hat sein zweites Ziel schon mal erreicht und indem er merkt, dass das gut war, wächst er und kommt technisch voran. Und automatisch hat er vielleicht vier Ringe mehr geschossen und zack, schon ist er im Finale. Im Wettkampf muss man immer prozessorientiert arbeiten – da geht der Blick aufs große Ganze verloren und das ist gut so. Erinnert man sich an Matthew Emmons letzten Schuss bei Olympia, der daneben ging, könnte man mutmaßen, dass er vielleicht mit den Gedanken schon ein bisschen weiter war. Das will ich den Junioren lernen, abgrenzen zu können, was ist Vergangenheit, was ist Gegenwart, was ist Zukunft.“

Möller: „Bei den Junioren ist es wichtig, dass man ihnen schon früh eine Zielstellung einpflanzt, dass sie vielleicht einmal bis zu den Olympischen Spielen kommen. Hier ist es mehr perspektivisch zu sehen, während das bei den Erwachsenen top aktuell ist. Die wollen, sollen und müssen dorthin. Sie haben einen ganz anderen Druck, dieses Ziel zu erreichen. Das ist die Kunst des Trainers, diesen Druck wieder wegzunehmen, denn der Druck beim Wettkampf kommt von alleine. Bei den Junioren kommen zudem immer Jahreshöhepunkte, auf die sich konzentriert wird, um auch optimal den Sprung zu den Erwachsenen zu schaffen.“

Wie gehst du mit übermotivierten Eltern um, deren Ziele für ihre Sprösslinge vielleicht zu hoch gesetzt sind oder nicht mit den Zielen der Kinder übereinstimmen?
Kulla: „Das passiert selten wissentlich, noch seltener passiert es, dass man direkten Kontakt zu den Eltern hat, wo man in Gesprächen einlenken könnte. Faktisch weißt du als Eltern nie, ob sich diese finanzielle Investition auszahlen wird, und da kann ich verstehen, wenn Eltern sagen, dass dahinter auch eine gewisse Ernsthaftigkeit stecken soll. Eine Ernsthaftigkeit auf Zeit, in der man locker, mit Spaß ausprobiert, aber auch mit Fokus und Energie daran arbeitet, was man schaffen kann. Nicht jeder hat automatisch ein Nationalkadermitglied oder einen Weltmeister zuhause – so etwas entwickelt sich. In einer Phase, in der man in der Schule mithalten muss, neben Gleichaltrigen bestehen muss, kann das dann auch einmal viel sein, und der Druck der Eltern ist dabei kontraproduktiv. Das Kind muss selbst spüren, was es kann – ohne des Druck von außen.“

Möller: „Das ist eine Situation, die immer wieder vorkommt. Man muss versuchen, die Eltern bei Wettkämpfen möglichst fern zu halten. Grenzen müssen gesetzt werden, denn die Kinder werden nicht von ihren Eltern trainiert, sondern von ihrem Trainer und der hat dort auch das Sagen, denn sie bringen dort ihre Kompetenz und ihre Erfahrung ein und versuchen, die Kinder in die richtige Richtung zu lenken. Die Eltern meinen das ja nicht böse, aber sie haben eben oft nicht die Erfahrung, die ein Stützpunkt- oder Bundestrainer hat.“

Was passiert, wenn Ziele nicht erreicht werden? Wie geht man am besten damit um?
Kulla: „Nach jedem Wettkampf muss es eine Analyse geben. Was war mein Vorhaben? Was habe ich umsetzen können? Was ist gut gelaufen? Wo habe ich noch Kapazitäten? Jeder Wettkampf ist eigentlich nur ein Meilenstein und eine Gelegenheit zu lernen. Du bist nie vollendet! Im Gespräch mit Henri Junghänel hat mir das imponiert, denn er hat als Erwachsener eine höhere Anzahl an wichtigen Wettkämpfen, trotzdem hat er es immer akzeptiert, dass wenn das Alles nichts hilft, was man an taktischem und technischem Know-How mitbringt, es eben so. Dann weiß ich, was ich investiert habe, aber es muss nicht immer reichen, denn ich habe keinen Einfluss darauf, was andere machen. Die meisten hochgesteckten Ziele wird man nicht auf Anhieb erreichen und muss es vielleicht öfter probieren. Aber man wird erfahrener, der Respekt wird kleiner und die Gewöhnung tritt ein.“

Möller: „Das Beste ist, offen damit umzugehen. Das ist nicht immer einfach, denn da spielen oft Emotionen eine große Rolle. Und das feinfühlig mit dem Sportler zu verarbeiten ist herausfordernd. Es geht darum, zu analysieren, was wir beim nächsten Mal besser machen. Hier sind beide Parteien gefragt. Was können wir am Schlechten weglassen, was können wir beim Guten übernehmen? Schlechte Dinge kann man oft sehr gut benennen, aber wir tun uns schwer, was gut ist zu benennen und das positive Denken zu fördern.“

Und zuletzt natürlich die Frage: Wie lauten deine persönlichen Ziele als Trainer?
Kulla: „Ich habe den Wunsch, meine Schützlinge in die erfolgreiche Selbstständigkeit zu entlassen. Ich will, dass Leute etwas über Selbstwirksamkeit und übers Leben lernen. Leistungssport ist eine Lebensschule, und diesen Transfer zu leisten, ist eine wichtige Aufgabe eines jeden Trainers – egal, ob im Verein oder im Nachwuchsleistungssport. Wenn sie lernen, was sie sich zutrauen, was sie meistern können und was ihre Werkzeuge dabei sind, dann können sie unglaublich viel in den beruflichen Alltag und in Alltagssituationen nehmen.“

Möller: „Ich will ein guter Trainer sein – sowohl menschlich als auch fachlich, denn man muss von der Truppe akzeptiert werden. Mein persönliches Ziel ist aber auch das erfolgreiche Bestreiten der Olympischen Spiele im nächsten Jahr, und dem versuche ich alles unterzuordnen.“

 

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