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Jolyn Beer: Über neue Wege, den inneren Schweinehund und Chancen in der Krise

17.04.2020 09:49

Fast alles drehte sich in Jolyn Beers Leben um Olympia, Quotenplätze und Wettkämpfe – ja, bis COVID-19 ins Spiel kam und nicht nur ihr Leben durcheinanderwürfelte. Warum für die Gewehrschützin die Pause vielleicht Gold wert ist und wie sie die Krise auch als Chance für sich sieht, erzählt sie im Interview.

Bild: DSB/ Jolyn Beer ist eine Kämpferin uns sieht in der Krise auch ihre Chance
Bild: DSB/ Jolyn Beer ist eine Kämpferin uns sieht in der Krise auch ihre Chance

Olympia wird ins Jahr 2021 verschoben, eine wegweisende Entscheidung für dich. Wie hast du die Meldung aufgefasst und wie gehst du heute damit um?

Beer: „Ich hatte mich bereits zuvor dafür ausgesprochen, nachdem auch Kunstturner Andi Toba sich auf den sozialen Medien dafür stark gemacht hat, die Spiele zu verschieben. Für mich war es klar, dass es nicht anders geht und ich finde es gut. Jeder, der etwas anderes gedacht hat, lebt auf einem anderen Planeten. Aber für mich steht auch nicht so viel auf dem Spiel, denn ich bin in der Bundeswehr gut abgesichert und es steht vorerst kein Karriereende bevor. Für mich war eigentlich der Plan, im Herbst ein Studium zu beginnen, aber das verschiebt sich jetzt eben um ein Jahr.“

Es ist jetzt Zeit, sein Durchhaltevermögen und seinen Ehrgeiz zu trainieren, seinen Schweinehund zu besiegen.

Jolyn Beer, Nationalkaderschützin

Jetzt bist du auch schon einige Wochen zuhause, fällt dir die Decke bereits auf den Kopf oder hast du dich an die Situation gewöhnt?

Beer: „Durch die Absage der Spiele und der Wettkämpfe nimmt der Druck ab, etwas machen zu müssen. Ich habe jetzt wieder viel Zeit für andere Dinge, denn wir sind quasi wieder im Status der Saisonvorbereitung. Ich mache Trockentraining, gehe laufen und mache Krafttraining – Dinge, die ich in den letzten Jahren vielleicht ein wenig verschlafen habe. Aber ich gebe zu, es ist schwer eine Motivation zu finden. Ich bin gerade noch an einem Punkt, an dem ich noch nicht weiß, auf was ich hinaus trainiere, was schwer für mich ist.“

Der Druck ist abgefallen und du kannst die Zeit nutzen, deinen Kopf auszuruhen.

Beer: „Ich muss fast zugeben, dass es für mich das Beste ist, was mir hätte passieren können. Ich hatte im letzten Jahr mit den Military World Games und dem Weltcup-Finale eine irre lange Saison, im Dezember ging es mit der EM-Qualifikation weiter und dann folge die Bundesliga. Im Januar war ich komplett ausgelaugt und hatte keine Lust mehr auf irgendwas – und genau dann hätte ich mich auf eine Olympiaqualifikation vorbereiten sollen. Das war verrückt. Jetzt habe ich Zeit durchzuatmen. Ich arbeite viel mit einer Sportpsychologin unseres Olympiastützpunkts zusammen, mache Konzentrationsübungen und versuche neue Wege zu gehen.“

Du hattest eine super Saison, hast es so oft ins Finale geschafft, aber am Ende fehlte ein Quotenplatz. Das setzt sich sicher im Kopf fest, jetzt kannst du einen Strich drunter ziehen und neu anfangen. Eine Chance?

Beer: „Auf jeden Fall. Ich glaube, dass ich meine vergangenen Wettkämpfe zusammen mit meiner Psychologin gut aufgearbeitet habe. Für mich war es zuletzt wichtig, wie die weitere Saisonplanung aussieht, aber ich muss auch sagen, dass ich gerade nicht so viel an das Schießen denke und mir das gut tut.“

Wettkämpfe sind in Moment nicht möglich. Wie schätzt du diese Wettkampfpause für dich ein?

Beer: „Es ist schwierig, denn selbst die Liga im Herbst ist noch so fern und so abstrakt und wir haben in den letzten Wochen gelernt, dass noch so viel passieren kann, was man noch nicht gesehen hat. Aber es hilft nichts, da muss man jetzt durch. Dafür bleibt Zeit, sich mit seinem Material auseinanderzusetzen und Stellschrauben an seiner Wettkampftaktik zu schrauben. Es ist jetzt Zeit, sein Durchhaltevermögen und seinen Ehrgeiz zu trainieren, seinen Schweinehund zu besiegen.“

Man muss eben versuchen weiterhin positiv zu denken und seinen Kopf zu trainieren.

Beer: „Ja, genau. Ich glaube, ich bin jemand, der mit der Situation noch gut umgeht, aber ich kenne auch Sportler, die schon fast in eine Depression verfallen, weil sie nicht wissen, wie sie noch weitermachen sollen – vor allem bei Konditions- und Kraftsportlern ist das ein Problem. Aber ich bin mit mir selbst und meinem Leben, das ich im Moment führe, sehr zufrieden und das ist auch schon einmal etwas Positives.“

Wie kann man sich deinen Alltag gerade vorstellen?

Beer: „Zuerst bekommt der Hund was zu frühstücken, dann ich. Wir gehen anschließend eine Runde Gassi, bevor ich mich ans Kraft- oder Ausdauertraining mache. Alle zwei Tage  kommt Trockentraining dazu.“

Es ist Zeit, sich nun mehr auf das Gefühl als auf das Ergebnis zu konzentrieren.

Beer: „Es ist eine gute Zeit, um sein Anschlagsgefühl aufzubauen und zu stärken. Man sieht das sowieso schon bei den internationalen Topleuten, dass sie vor dem Wettkampf Haltetraining machen. Es ist wichtig, jetzt im Saft zu bleiben und das kann einem auf jedem Fall nur helfen.“

Wie glaubst du, kommt die Weltspitze wieder zurück? Können sie sofort wieder an den Ergebnissen anschließen?

Beer: „Das ist eine gute Frage. Ich kann mir vorstellen, da ja die Schließung von Sportstätten in jedem Land anders gehandhabt wird, dass viele Topathleten trotzdem irgendwie trainieren können, weshalb ich nicht glaube, dass es da einen Leistungseinbruch geben wird. Vor allem auch, weil jetzt noch einmal die Zeit besteht, Material abzustimmen. Ich glaube es wird genauso krass weitergehen, wie es aufgehört hat.“

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