Olympische Spiele

„Bhutans Bogenschützin für Olympia“

12.07.2004 00:00

Im Königreich Bhutan ist Bogenschießen eine traditionelle Männerdomäne. Umso er­staunlicher, dass es ausgerechnet eine junge Frau bis an die Weltspitze schaffen könnte: Tshering Chhoden (Foto) gilt als talentierteste Schützin des Landes. Wenn sie ihr Können in einem Ausscheidungskampf vor dem Olympischen Komitee beweist, darf sie im August zu den Spielen in Athen fahren – und aus dem isolierten Bergstaat im Himalaja ins internationale Rampenlicht treten.

„360° - Die GEO-Reportage“ zeigt die 25-jährige Bogenschützin bei ihrem Ringen um die Teilnahme an den Olympischen Spielen. Ein Film von Holger Riedel, den Sie in Erstausstrahlung am Samstag, den 31. Juli 2004 um 21.35 Uhr in ARTE sehen können.

 

Bhutan, das abgeschottete Land, so groß wie die Schweiz, umgeben von vergletscherten Siebentausendern, hat sich erst in den letzten Jahren der Außenwelt geöffnet. Noch 1960 war ein fünftägiger Fußmarsch nötig, um nach Bhutan zu gelangen. Damals begann König Wangchuk mit seiner vorsichtigen Modernisierungspolitik. Bis heute bestimmen er und seine Minister, wie viel Außeneinfluss sein Volk verkraftet, ob es reif ist für Elektrizität, Fernsehen oder Tourismus.

 

Industrialisierung wird nur geduldet, wenn sie nicht gegen die hohen Umweltstandards verstößt. Westliche Entwicklungspolitiker betrachten den Himala­jastaat als Musterland, doch das Volk steht nur zum Teil hinter dem Monarchen. Viele der überdurchschnittlich gut ausgebildeten jungen Menschen – manche haben im Ausland stu­diert – fühlen sich von der "Ökodiktatur" des Monarchen bevormundet.

 

Jedes Dorf in Bhutan hat seinen Schützenkönig, fast jeder männliche Bewohner des Landes praktiziert die Kunst mit Pfeil und Bogen – ein Relikt aus der kriegerischen Vergangenheit des buddhistischen Bergvolkes. Die Spannkraft eines Bogens kann bis zu 30 Kilogramm betragen, 145 Meter sind die Zielscheiben entfernt. Bei einem traditionellen Wettkampf treten jeweils zwei Dörfer gegeneinander an. Frauen dienen den männlichen Kontrahenten dabei lediglich zum Anfeuern.

 

So ist es auch heute noch in Radhi, einen kleinen Dorf tief in den Bergen Bhutans, dicht an der chinesischen Grenze. Mit einer Ausnahme: der 25-jähri­gen Tshering Chhoden, die hier herkommt und für Olympia trainiert. Doch als Frau ist sie vom traditionellen Kräftemessen ausgeschlossen – und das, obwohl sie sich darauf vorbe­reitet, ihr Land vor der ganzen Welt zu präsentieren. Ihre Chancen stehen gut, denn Tshering Chhoden gilt als Virtuosin mit Pfeil und Bogen.

 

Tshering Chhodens Alltag während der Olympiavorbereitungen ist typisch für das Zusam­mentreffen von Tradition und Moderne in Bhutan. Fest glaubt sie an Dämonen und Hexen und daran, dass ihre Tempelbesuche und ihre Gebetsfahne auf dem hohen Himalajapass das Sportlerglück beeinflussen wird. Gleichzeitig trainiert sie mit einem professionellen Coach und moderner High-Tech-Ausrüstung. Als ein Astrologe ihr fehlendes Glück beim Ausscheidungswettbewerb in der Hauptstadt Thimphu prophezeit, ist ihre jedoch Sorge groß.