Allgemeines
Schießsport kann echte Inklusion
Die ISCH in Hannover, das neue Bundesleistungszentrum in Wiesbaden und Natascha Hiltrop, Paralympische-Medaillengewinnerin und neue Sport-Inklusionsmanagerin beim DSB, zeigen wie gut Inklusion im Sport funktionieren kann. Es ist Zeit für ein neues Kapitel.
Aufgepackt mit einem großen Wagen betritt das Ehepaar Schott den Schießstand bei der ISCH in Hannover; darauf ein selbstgebauter Tisch, eine große Tasche und ein Gewehr. Alexandra begleitet ihren Mann Bernd auf jeden Wettkampf, nicht nur aus Spaß an der Freude, sondern weil er sie braucht – mehr denn je. Über 20 Jahre war Bernd Schott (52) auf der Jagd nach Medaillen für Deutschland. Er ist mehrfacher Welt- und Europameister, schoss deutsche Rekorde mit dem Luftgewehr, im Kleinkaliber und der Armbrust, ja, bis es eines Tages dunkel wurde.
Ein Schlaganfall während der Arbeit veränderte sein Leben und auch das seiner Frau. Aber eines beschloss Bernd Schott bereits auf der Intensivstation, kurz nachdem er aus dem Koma erwacht ist: „Ich will wieder schießen.“ Einen Satz, an den er sich heute selbst nicht mehr erinnert, aber ein Glaube an die eigene Kraft im tiefsten Inneren, der Berge versetzt hat. Heute, fünf Jahre später, geht alles etwas langsamer und beschwerlicher, ein Stock hilft ihm die halbseitige Lähmung beim Gehen auszugleichen. Das Schießen ist nur noch mit Federbock und der Ladehilfe seiner Frau möglich. Doch das allerwichtigste ist: Er ist wieder da; da bei seinen Freunden, da mit seinem Herzen. „Das Schießen ermöglicht mir raus zu gehen in die Öffentlichkeit, mich über die Behinderung auszutauschen, mein alten Kollegen wieder zu treffen. Diese Kameradschaft ist viel Wert“, erzählt Bernd Schott, „Es ist schön nicht abgeschrieben zu werden und wieder dabei sein zu können.“ Was dabei hilft, ist Inklusion. Doch was bedeutet das genau? Inklusion heißt nichts anderes, als dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Egal wie er aussieht, egal wo er herkommt, egal ob mit oder ohne Behinderung. Jeder soll mitmachen können, jeder soll mitschießen können.
ISCH – ein Fest für die gesamte Schützenfamilie
Hier findet Inklusion statt. Der internationale Wettkampf ISCH vereint olympische und paralympische Sportler an einem Ort und ist aus diesem Grund überall bekannt. Als Voraussetzung wurden lediglich ein paar Signallampen an der Decke montiert und ein einheitliches Regelwerk aufgestellt. Sport- und Bogenschießen ist Inklusion – das zeigt vor allem die große Anziehungskraft, die der Sport bei seiner Ausübung im Training und Wettkampf für Menschen mit und ohne Behinderung hat – und darum sollten wir es auch tun.
Vorreiterrolle des DSB in Sachen Inklusion
Der Deutsche Schützenbund ist mit seinen strategischen Planungen den Weg von bereits bestehender Integration (Wettbewerbe für Menschen mit Behinderungen gibt es schon lange im DSB), weiter zu inklusiven Sportangeboten, also gemeinsam durchgeführtem Sport, gegangen. Von besonderer Bedeutung dafür sind die Regelungen zum Schießsport für Menschen mit Behinderung in der Sportordnung des Verbandes. Seit 2015 sind im eigenen Teil 10 der Sportordnung die verschiedenen Spezifikationen und Klassifizierung beschrieben, so dass auf allen Ebenen Wettbewerbe gemeinsam geschossen werden können – von Breitensport bis zur Bundesliga. Genau diese Regelungen und die damit verbundenen volle Inklusion haben dazu geführt, dass die Deutsche Olympische Gesellschaft den DSB 2013 mit der Fair Play-Plakette ausgezeichnet hat.
Bereits seit der Luftgewehr-Bundesliga-Saison 2011/2012 treten in der höchsten Leistungsklasse eines Olympischen Sportfachverbandes in Deutschland Männer, Frauen, Deutsche und Europäer sowie Athleten mit und ohne Behinderung gemeinsam an. Doch genau diese Tatsache, findet nicht bei allen Schützen Anklang, wie sich Josef Neumaier, einer der ersten Rollstuhlfahrer in der Bundesliga, erinnert: „Natürlich gibt es viele Skeptiker, aber die Untersuchungen an der Sporthochschule Köln haben ergeben, dass der Vorteil des Sitzens durch die geringe Auflagefläche der Hüfte verpufft.“ Getestet wurden damals sowohl Leistungsschützen mit als auch ohne Behinderung (sitzend + stehend) sowie Studenten. „Am Ende entscheidet die Psyche und die Technik, die man sich erarbeitet hat“, ist sich Neumaier sicher. Lisa Haensch war damals Neumaiers Teamkollegin in der Bundesliga und ebenfalls skeptisch: „Ich muss zugeben, ich habe das auch zwiespältig gesehen, aber bevor man vorschnell urteilt, sollte man sich informieren, sich alles genau erklären lassen und erst dann ein Urteil darüber fällen.“
Natascha Hiltrop wird Sport-Inklusionsmanagerin beim DSB
Ein weiteres Kapitel in Sachen Inklusion beim DSB hat in Wiesbaden begonnen. Im kommenden Jahr wird mit der Fertigstellung des Neubaus des „olympischen und paralympischen Bundesleistungszentrums für Schieß- und Bogensport“ ein weiteres Pilotprojekt innerhalb des DOSB fertiggestellt.
Eine, die dort den inklusiven Sport nach vorne bringen will, ist Natascha Hiltrop, Paralympics-Silbermedaillengewinnerin in Rio 2016. Sie ist Teil des gemeinsamem Projektes des DOSB und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BAMS): "Qualifiziert für die Praxis: Inklusionsmanager/innen für den gemeinnützigen Sport“. Als Sport-Inklusionsmanagerin wird sie vor allem bei Gremiensitzungen, Trainerausbildungen und bei der Beratung von Barrierefreiheit in Vereinen unterstützen und ihre eigene Erfahrung miteinbringen. Um das neue Bundesleitungszentrum „mit Leben zu füllen“ wird ein ausführliches Akademie-Programm entwickelt werden, bei dem auch verstärkt der paralympische Schieß- und Bogensport berücksichtigt werden soll. Ziel des Deutschen Schützenbundes im Rahmen des gemeinsamen Projekts von DOSB und BAMS ist es auch, Menschen mit einer Behinderung für eine hauptamtliche Tätigkeit im gemeinnützigen Sport zu gewinnen , zu qualifizieren und damit die Inklusion im und durch Sport weiter voranzubringen. Jörg Brokamp, Bundesgeschäftsführer des DSB, hat das Ziel fest im Visier: „Wir wollen den hohen gesellschaftlichen Wert der Inklusion nachhaltig stärken. Der Schieß- und Bogensport sind als Plattform für die Inklusionsarbeit bestens dazu geeignet.“
Wie das funktioniert, zeigen Bernd Schott und Josef Neumaier, die seit Jahren gemeinsam trainieren. Früher half Bernd Schott Josef Neumaier auf dem Weg nach oben, gab ihm zahlreiche Tipps und Tricks aus seinem Erfahrungsschatz als Weltklasse-Schütze, heute ist es genau umgekehrt und er profitiert von der Erfahrung seines Schützenkollegen im paralympischen Sport. Zwei Freunde, die sich durch den Sport gefunden haben, die voneinander profitieren und früher sowie heute miteinander unterwegs sind und sich dabei so akzeptieren, wie sie sind: Das ist echte Inklusion.
- Foto Bernd Schott: NSSV - Niedersächsischer Sportschützenverband e.V.
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