Allgemeines
Schützen gegen Extremismus: Interview mit Claus Schmidt, Vereinsvorsitzender des SV Diana Bergen-Enkheim e.V.
Das Projekt "Schützen gegen Extremismus, für Vielfalt und Demokratie" wurde 2020 vom DSB-Präsidium ins Leben gerufen. Anlass war u.a. der verheerende Anschlag in Hanau, bei dem zehn Menschen ermordet wurden. Claus Schmidt, Vorsitzender des SV Diana Bergen-Enkheim e.V., äußert sich im Interview dazu. Der Täter war Mitglied in seinem Verein.
Herr Schmidt, wie und wann haben Sie davon erfahren, dass der Amokschütze von Hanau ein Schütze aus ihrem Verein war?
Claus Schmidt: „Ich befand mich im Urlaub und hielt mich, wie immer im Urlaub, von Fernsehen und Nachrichten fern. Am Vormittag nach dem Anschlag schickte mir ein Schützenkamerad, der das Bild des Täters erkannt hatte und sich relativ sicher war, dass er Mitglied in unserem Verein war, eine Textnachricht.“
Was ging in Ihnen vor nach dieser Information?
Claus Schmidt: „Das kann ich kaum beschreiben. Fassungslosigkeit, Schock, Trauer, Ratlosigkeit.“
Seid aufmerksam, schaut nicht weg, bezieht Stellung!
Haben Sie sich Vorwürfe gemacht, die extremistische Haltung des Täters nicht mitbekommen bzw. erkannt zu haben?
Claus Schmidt: „Als der erste Schock vorbei war und mein Blut langsam ins Gehirn zurückkehrte, fing ich an, über die zentralen Fragen nachzudenken "Habe ich (oder wir als Verein) etwas falsch gemacht/übersehen? Hätte ich etwas erkennen können?"
So sehr ich auch darüber nachdachte, die Antwort war immer: "Nein". Somit habe ich mir auch keine Vorwürfe gemacht.“
Wie viel Zeit blieb Ihnen, das Ganze zu verarbeiten und zu reflektieren, bevor sich die Medien auf Sie stürzten?
Claus Schmidt: „Nach der offiziellen Information durch den DSB, dass unser Verein in der Pressemitteilung genannt wird und der Absprache, dass ich der Ansprechpartner bin, hatte ich nicht einmal eine Minute Zeit gehabt. Meine Handy-Nummer war zu diesem Zeitpunkt auch auf unserer Homepage online. Nur dank der Vorabinformation durch meinen Schützenkameraden hatte ich einen Vorlauf von ca. 2,5 Stunden.“
Wie ging es in den Tagen und Wochen danach weiter im Verein und in ihrem Vorstand?
Claus Schmidt: „Ich habe sofort den restlichen Vorstand informiert und zu einer außerordentlichen Vorstandssitzung zwei Tage nach der Rückkehr aus meinem Urlaub eingeladen. Den Schießbetrieb hatten wir sofort bis zur abschließenden Trauerfeier eingestellt. Noch aus meinem Urlaub haben wir die Vereinsmitglieder zu einem Infoabend am Tag nach unserer Vorstandssitzung eingeladen.
Wir hatten ebenfalls schon einen Termin zur Aufarbeitung mit den Vereinsmitgliedern angesetzt, leider kam dann der Corona-Lockdown, und sämtliche Veranstaltungen mussten abgesagt werden.“
Haben Sie sich Unterstützung für die Aufarbeitung der Thematik von externen Stellen geholt? Wenn ja, wen haben Sie angesprochen und was haben Sie gemacht?
Claus Schmidt: „Der Jugendleiter des Hessischen Schützenverbandes kam auf mich zu und hat mir/uns eine Beraterin der Sportjugend Hessen empfohlen, die Vereine unterstützt, die durch die unterschiedlichsten Ereignisse in ihren Grundfesten erschüttert wurden. Ich habe sofort Kontakt zu ihr aufgenommen, und sie hat sowohl unsere erste Vorstandssitzung nach der Tat als auch unseren Infoabend begleitet.“
Hat es Ihnen bzw. Ihren Vereinsmitgliedern geholfen?
Claus Schmidt: „Definitiv! Eine externe Sicht von jemandem, der sich mit ähnlichen Situationen auskennt und auch eine entsprechende berufliche Qualifikation mitbringt, kann einen Herangehensweisen aufzeigen, auf die man selber nicht unbedingt gekommen wäre.“
Haben Sie nach dieser Tat im Verein etwas verändert/unternommen, um dieses Thema weiter zu sensibilisieren?
Claus Schmidt: „Derzeit plant der Regionalrat in Zusammenarbeit mit dem Vereinsring, dem Präventionsrat und dem Polizeipräsidium der Stadt Frankfurt eine Schulung zum Thema "Rechtsextremismus in Vereinen". Dort erhoffe ich mir für unsere Standaufsichten, Trainer und Vorstandsmitglieder Informationen, wie man Fälle von Extremismus (besser) erkennen kann. Durch die gegenwärtige Corona-Situation geht derzeit leider alles etwas langsamer.
Ich habe bereits vor sechs Jahren eingeführt, dass jeder Bewerber ein Kennenlerngespräch mit zwei Vorstandsmitgliedern absolvieren muss. Inzwischen ist ein Teil des Gesprächs unsere Positionierung für Demokratie und Vielfalt sowie gegen jegliche Form des Extremismus.“
Sie persönlich sind auch Teilnehmer an der AG des Deutschen Schützenbundes „Schützen gegen Extremismus, für Vielfalt und Demokratie“. Warum machen Sie mit?
Claus Schmidt: „Ich wurde vom DSB gebeten, mitzumachen und dem wollte ich mich nicht verwehren. Wenn durch das, was die Arbeitsgruppe erarbeitet auch nur einem Verein geholfen oder ein Anschlag verhindert werden kann, ist es jegliche Mühe wert.“
Halten sie es für gerechtfertigt, dass einige Außenstehende und Nicht-Schützen Angst vor Sportschützen haben bzw. diese als potenzielle Täter abstempeln?
Claus Schmidt: „Natürlich nicht, der Mensch neigt aber nun mal zu Vorurteilen. Eine fettgedruckte Schlagzeile ist schnell gelesen und anschließend eine passende Meinung gebildet. Die wenigsten machen sich die Mühe, die angeblichen Fakten zu prüfen und vielleicht auch mal eine Statistik zu Rate zu ziehen oder in diesem Fall noch besser: Schaut euch doch mal den nächstgelegenen Schützenverein an.“
Was sagen Sie Schützenvereinen, die von diesem Projekt nichts halten bzw. sagen, das betreffe sie nicht?
Claus Schmidt: „Auch unseren Verein betraf das nicht, wir haben auch viele Mitglieder mit Migrationshintergrund. Der Täter zeigte bei uns keinerlei Auffälligkeiten im Umgang mit Menschen - egal welcher Herkunft.
So etwas erwischt einen leider meistens kalt und jeden kann es treffen. Schließlich kann man einem Menschen nur bis zur Stirn schauen und nicht dahinter.“
Was ist für Sie und ihren Verein nach dieser Wahnsinns-Tat die wichtigste Botschaft für den Schießsport, Schützenvereine, Landesverbände und den Deutschen Schützenbund?
Claus Schmidt: „Seid aufmerksam, schaut nicht weg, bezieht Stellung!
Ich kann mir nicht einmal ausmalen, wie es mir jetzt gehen würde, wenn ich Hinweise oder eine Ahnung auf eine solch bevorstehende Tat gehabt hätte und dann untätig gewesen wäre.“
(Aus der Infobroschüre zum Projekt)