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„SchützenWelten“ schließen bald ihre Pforten

24.04.2007 00:00

Wer derzeit durch die Stadt Lüdenscheid im Sauerland fährt, kommt an den Schützen nicht vorbei. Rund 40 Kilometer südlich von Dortmund steht schon kurz hinter der Ausfahrt der Hinweis zur Schützenhalle, die auf einem Hügel über der Stadt thront. Doch den Mittelpunkt bildet das Zentrum. Im Städtischen Museum ist nur noch bis zum 20. Mai 2007 die Ausstellung „SchützenWelten – Bewegte Tradition im Sauerland“ zu sehen – für den historisch interessierten Schützen ein absolutes „Muss“.

 

Das Logo der Ausstellung bildet eine riesige Zielscheibe, die Ringe prägen den Flyer zur Ausstellung und den aufwändig gestalteten Katalog. Vor allem aber prägen sie die riesige Glasfront des Museums – und damit kann kein Besucher die Ausstellung verfehlen.

„Schützen Deutschlands, schaut auf diese Stadt!“ – dazu fordert der Prospekt zur Ausstellung in sehr eindringlicher Form auf. Es ist eine gute Aufforderung, weil der Besucher in eindrucksvollen Darstellungen viel Neues aus der Tradition erfährt. Und wer in Lüdenscheid seinen Wissensdurst noch nicht gestillt bekommen hat, dem bietet sich im Rahmen eines weiteren Ausfluges ein Besuch der Dauerausstellung auf Schloss Callenberg bei Coburg im Deutschen Schützenmuseum an.

In der großen und lichten Eingangshalle fühlt sich der Besucher unversehens 100 Jahre zurückversetzt inmitten eines Rummelplatzes, der durch seine grün-weiße Beflaggung eindeutig als Teil eines Schützenfestes auszumachen ist. Die mittelalterlichen Schützenfeste sind bekanntlich der Ursprung der städtisch-bürgerlichen Festkultur. Für Unterhaltung sorgte fahrendes Volk, wie Wahrsager, Gaukler und Musikanten, später Schaubuden und Artisten. Im 19. Jahrhundert waren es Wachsfigurenkabinette, Panoramen und Panoptika, Wanderkinos und zunehmend auch Fahrgeschäfte, die die Menschen anzogen.

Bis heute üben Automaten eine starke Anziehungskraft aus. Viele der „Liebes-Waagen“, Kräftemesser, Lungentester und Schießautomaten, die die Lüdenscheider Ausstellungsmacher aus dem Deutschen Automatenmuseum in Espelkamp ausgeliehen haben, funktionieren noch, und einige dürfen die Besucher selbst ausprobieren. Glanzstück des inszenierten Festplatzes ist die „Hallensia“, eine riesige automatische Tanzorgel aus dem Jahr 1927, die auch heute noch problemlos die halbe „Wiesn“ auf dem Oktoberfest beschallen könnte.

Die eigentliche Ausstellung führt, zeitlich chronologisch vom Mittelalter bis in die Neuzeit, bis zum 500-jährigen Jubiläum der Lüdenscheider Schützengesellschaft im letzten Jahr, durch die „SchützenWelten“ – in verschiedenen Epochen, unterschiedlichen Regionen und Zusammenhängen. Deutlich wird, dass die Welt, zumindest die mitteleuropäische, in der einen oder anderen Form immer auch eine Schützenwelt war und ist.

Das Holzmodell der Stadt mit ihren Befestigungsanlagen und Toren deutet auf die ursprüngliche Aufgabe der Schützen für die mittelalterliche Kommune hin, die diversen ausgestellten Armbrüste mit unterschiedlichen Spannhilfen, die Haken-, Stock- und Wallbüchsen zeigen, mit welchem Gerät diese Schutzfunktionen ausgeführt wurden. Im gleichen Raum ist auch schon das spektakulärste Objekt der Ausstellung zu sehen: das über fünf Meter breite, zwei Meter hohe „Schützenstück“ (Foto) des holländischen Malers Pieter Isaacsz, ein Gruppenporträt der Amsterdamer Feuerschützen-Kompanie aus dem Jahr 1596. Das eindrucksvolle Gemälde gehört zu dem zwischen 1529 und 1650 vor allem in Haarlem und Amsterdam verbreiteten Genre, dessen berühmtestes Beispiel, die „Nachtwache“ von Rembrandt, jeder kennt.

Vorbei an sehr alten Exemplaren der Attendorner „Iserköppe“ – im Dreißigjährigen Krieg erbeutete schwedische Harnischteile und Helme – geht es durch einen nur scheinbar gemauerten Gang – dessen Steine aus Pappe sind – mit Monitoren und Filmausschnitten, auf denen die Mitglieder der Schützengesellschaft Attendorn den kuriosen „Trillertanz“ aufführen. Hier sind wir schon mitten im Sauerland und damit im Spannungsfeld der Konfessionen. Denn durch die Region zieht sich unsichtbar die Grenze zwischen der preußisch-protestantisch geprägten Grafschaft Mark und dem katholischen, kurkölnischen Raum.

Die Ausstellung visualisiert sehr lebendig die Unterschiede der gegensätzlichen Einflüsse, vor allem sichtbar im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts und vor allem am Einsatz von Symbolen. Im katholischen Raum finden wir eine intensive Verehrung der Schützenheiligen, entsprechend geschmückte Altäre an hohen kirchlichen Festen oder spezielle liturgische Gewänder, während die protestantisch geprägten Schützenvereine der märkischen Region den Preußen-Adler und überhaupt Personen oder Embleme des preußischen Staates in den Vordergrund stellen.

Ein vergleichsweise kleiner Raum führt den Besucher hinüber in die Zeit der Entstehung des Deutschen Schützenbundes. Hier haben sich Dr. Eckhard Trox (Foto rechts) und Jörg Endris Behrendt (Foto links/Foto Mitte DSB-Präsident Josef Ambacher), die die Ausstellung in Lüdenscheid gestaltet haben, etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Die Festhalle des 1. Deutschen Bundesschießens von 1862 in Frankfurt war mit großen Motiven des populären Frankfurter Historienmalers Wilhelm Lindenschmit d.J. ausgeschmückt. Es handelte sich um die Schlachten von Hermann dem Cherusker, Otto dem Großen, Prinz Eugen und Blücher – Themen, die im bürgerlichen Selbstverständnis des 19. Jahrhunderts und bei der nationalliberalen Staatenbildung eine bedeutende Rolle spielten.

Nur die Aquarelle, die Vorlagen der Bilder sind erhalten, und nach diesen kleinformatigen Vorlagen haben die Lüdenscheider die ehemals kolossalen Gemälde mit Hilfe eines Kulissenmalers an den Wänden und Decken des Stadtmuseums wieder aufleben lassen. Eine wirklich eindrucksvolle Inszenierung, die nach dem Abbau dieser Sonderausstellung vielleicht im Deutschen Schützenmuseum auf Schloss Callenberg einmal weiterbestehen könnte.

 

Der große Reichtum der Ausstellung in den Museen der Stadt Lüdenscheid kann hier nur angedeutet werden. Sie versammelt wertvolle, kuriose, selten oder nie gezeigte Objekte aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland. Schützenscheiben aus Kronach sind über die ganze Fläche verteilt. Zeugnisse dieser Art von Volkskunst illustrieren die Teilnahme der Schützen an der Welt. Die Kronacher Festtafel „Deutschlands Sieges- und Ehrenhalle“ von 1872 (Foto oben) aus dem Deutschen Schützenmuseum ist nach dem Amsterdamer „Schützenstück“ sicher das auffälligste Exponat.

Bericht und Fotos: Harald Strier und Stefan Grus