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Themenwoche: „Irgendwann reicht es nicht mehr aus, einfach nur talentiert zu sein“

22.07.2020 08:44

Bereits früh wird Anna Janßens Talent im Verein entdeckt und von ihrem Heimtrainer Rudi Joosten stets gefördert. 2017 betrat die heute 18-Jährige zum ersten Mal die internationale Bühne, holte dabei sofort den Vizemeistertitel mit dem Luftgewehr bei der Weltmeisterschaft in Suhl, 2018 qualifiziert sie sich für die Youth Olympic Games und wurde starke Vierte, 2019 sammelt sie noch als Juniorin erste Weltcuperfahrung bei den Erwachsenen. Anna Janßen hat sich vom Talent hin zur Spitzenathletin entwickelt und erzählt im Interview, was der entscheidende Unterschied ist:

Bild: DSB/ Anna Janßen hat sich vom Talent zur Spitzenathletin entwickelt und ist inzwischen im Weltcup-Zirkus angekommen
Bild: DSB/ Anna Janßen hat sich vom Talent zur Spitzenathletin entwickelt und ist inzwischen im Weltcup-Zirkus angekommen

Anna, du hast 2001 mit dem Schießsport begonnen, wer hat dein Talent für den Sport als erstes erkannt?

Janßen: „Das war Rudi (Joosten, Anm. der Redaktion), mein Heimtrainer. Aber ich bin eigentlich durch meinen Bruder Simon, der 2010 Deutscher Meister wurde, zum Sport gekommen. Rudi hat sich daran erinnert, dass Simon noch zwei Schwestern hat und gefragt, ob die vielleicht auch Spaß daran haben. Dann bin ich mit, mir hat es gefallen und ich war auch gleich recht gut – dafür, dass ich es noch nie gemacht habe. So hat sich das entwickelt.“

Bis zu einem gewissen Zeitpunkt kommt man mit Talent gut aus, aber irgendwann fehlt die Arbeit dahinter.

Anna Janßen, Weltcupschützin

Wann war dir selbst zum ersten Mal bewusst, dass du wohl ein großes „Talent“ für den Schießsport hast?

Janßen: „Eigentlich relativ früh, denn von einem Trainingstag pro Woche hat sich das schnell auf zwei gesteigert und ich bin früh in den Rehinlandkader aufgenommen worden. Meine Leistung wurde also bereits früh sehr wertgeschätzt.“

Du bist also sehr schnell in eine Kaderstruktur hineingerutscht. Ist das für dich eine gute Möglichkeit, Talente zu fördern?

Janßen: „Ich finde das eine sehr gute Fördermöglichkeit, denn dadurch kommt man nicht nur mit den Schützen im eigenen Verein zusammen, sondern auch mit anderen Sportlern. Dadurch bringt man noch mehr Spaß in das Ganze, denn man ist viel zusammen unterwegs und hat gemeinsame Kaderlehrgänge. Zusätzlich lernt man viele neue technische Details kennen, denn jeder Trainer hat ein anderes Auge. Natürlich macht man den Sport am Anfang vor allem zum Spaß, aber ein Hobby endet auch irgendwann damit, dass man Erfolg haben möchte, und der Kader motiviert einen, ernster an die Sache ran zu gehen, aber gleichzeitig auch die nötige Wertschätzung zu erfahren.“

Wenn man von Talenten spricht, betrifft das meistens Menschen im Kinder- und Jugendalter. Wie würdest du sagen, hast du dich da von anderen unterschieden?

Janßen: „Das weiß ich gar nicht. Ich glaube nicht, dass ich ehrgeiziger war, aber ich war fokussierter, wenn es darum ging ein Training abzuhalten. Natürlich quatscht man vor und nach dem Training, aber im Training habe ich immer fokussiert gearbeitet und vielleicht auch mal mehr gemacht als alle anderen.“

Dein Heimtrainer Rudi ist für dich eine ganz wichtige Person auf deinem Erfolgsweg, er hat dich immer gefördert. Wie wichtig ist, dass das Talent auch von der Familie und dem Verein gefördert wird?

Janßen: „Sehr wichtig! Wenn man ein Talent entdeckt, sollte man es auch fördern. Bei uns in der Umgebung gibt es viele Talente, aber die eigenen Vereine fördern es oft nicht genug, da ist ein Trainer essentiell. Es gehen viele Talente verloren, weil der Spaß fehlt, die Motivation oder das richtige Coaching. Auch die Familie ist wichtig und dass sie vermittelt, dass Kinder etwas eigenständig machen. Wenn man zu sehr von den Eltern gepusht wird oder nur durch gute Leistung belohnt wird, dann kann sich das auch negativ auswirken. Eltern sollten neutral und ein wenig ehrgeizig dahinter stehen, aber auch nicht zu stark.“

Was würdest du den Vereinen raten, wie sie ein Talent besser fördern können?

Janßen: „Ich glaube, dass es nicht reicht, einfach nur ein Training anzubieten, sondern man muss aktiv auf die Sportler zugehen und ihnen Tipps geben oder Probewettkämpfe organisieren. Da wäre bereits ein Anfang gemacht.“

Du hast bereits sehr früh Weltcup-Luft geschnuppert und warst auf einmal nicht mehr „nur“ das Talent, sondern mitten unter den Spitzenathleten. Wie würdest du diesen Sprung beschreiben und was verändert sich auf einmal?

Janßen: „Bis zu einem gewissen Zeitpunkt kommt man mit Talent gut aus, aber irgendwann fehlt die Arbeit dahinter. Manche Sportler waren vielleicht eher erfolgreich, weil sie gar nicht mal so viel Talent hatten, dafür umso mehr Spaß und sie hart gearbeitet haben. So wurden sie besser als die talentierte Person, die nicht so viel Arbeit reingesteckt hat. Am Ende ist es eine Kombination aus erhöhtem Trainingsfleiß und dem Talent, denn ab einer gewissen Stufe wird das Talent nebensächlich und der Trainingsfleiß übernimmt. Ende 2016 war ich fast täglich am Stand und habe mit Rudi trainiert und am Scatt gearbeitet. Und am Ende ist es genau dieser Trainingsfleiß, der einen zum Spitzenathleten macht. Es reicht irgendwann nicht mehr aus, einfach nur talentiert zu sein.“

Verändert sich zu diesem Zeitpunkt auch der Druck auf dich als Sportlerin?

Janßen: „Wenn man Sorgen gegenüber Trainern oder Sportlern äußert hieß es oft: ‚Du bist doch total talentiert!‘ Aber irgendwann geht es nicht mehr um das Talent und genau dann steigt auch der Druck.“

Was würdest du als dein größtes Talent im Schießsport ansehen?

Janßen: „Ich weiß es nicht. Da muss ich wirklich überlegen. Am Ende ist es die Kombination. Nicht, dass man sich lange konzentrieren muss oder geduldig ist, sondern Talent setzt sich für mich aus mehreren Dingen zusammen. Beim Schießen spielen so viele Aspekte eine Rolle, dass ich mich nicht festlegen kann.“

Du hast erzählt, dass du begonnen hast, die eigene Jugend im Verein zu trainieren. Was macht dir dabei besonders Spaß, wenn du als heutige Spitzenathletin andere Talente fördern darfst?

Janßen: „Es macht mir total Spaß, dahinter zu sitzen und ihre wöchentlichen und monatlichen Fortschritte zu beobachten. Sie nehmen viele Sachen von mir an, aber haben auch ihre eigene Meinung. Das macht sehr viel Spaß und noch mehr Spaß macht es, wenn man sich selbst damit identifizieren kann, so wie es früher war. Das ist cool!“

Blickst du heute als Spitzenathletin anders auf Talente, als zu der Zeit, in der du selbst als Talent entdeckt wurdest?

Janßen: „Man selbst ist dadurch eifriger. Wäre ich selbst nicht so erfolgreich gewesen, hätte ich wahrscheinlich nicht einen solchen Ansporn die Kinder so speziell zu trainieren. Dann wäre es nur ein Training, so wie in vielen Vereinen. Aber dadurch, dass ich gesehen habe, was möglich ist, mit den Olympischen Jugendspielen, Europa- und Weltmeisterschaften und Weltcups, sind das Erfahrungen, die einen im Leben weiterhelfen und das möchte ich ihnen heute als Trainerin auch ermöglichen. Einige der Talente sind bereits heute besser als ich es zu der Zeit war. Es ist verrückt zu sehen, dass ich vor ein paar Jahren an selber Stelle stand und ich sie jetzt trainiere.“

Toll zu sehen, dass du sie motivierst und unterstützt, den gleichen Weg zu gehen.

Janßen: „Ja, und es ist von meiner Seite aus nichts erzwungen. Ich erzähle ihnen viel von meiner Geschichte und wie es dazu gekommen ist und meinen Erfahrungen. Es ist gut, dass sie das von einem Sportler persönlich hören und sich somit nicht von negativen Aspekten beeinflussen lassen, die irgendwer zu ihnen sagt.“

Somit bist du Motivator und Vorbild zugleich.

Janßen: „Das stimmt.“

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