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Vom Army-Schießstand zur High-Tech-Sportanlage

19.12.2007 00:00

Seit Herbst 2007 bietet sich Besuchern wie Sportlern auf dem Wurfscheibenschießstand Rheinblick (Foto) ein ganz anderes Bild. Frisch geteerte Wege, eine zwar sehr steile, aber völlig neue Treppe, steil aufragende Schallschutzwände auf der gegenüberliegenden Seite – auf dem Freudenberg hoch über Wiesbaden zeigt sich der Schießstand in einem völlig neuen Kleid. Er glänzt durch Funktionalität und technische Finessen. Hoch modern, gepflegt, sauber, sicher – allesamt Attribute, die dem Rheinblick jetzt zugeschrieben werden dürfen.

 

„Keine Frage, die Renovierung hat sich ausgezahlt“, strahlt Waldemar Schanz, dreimaliger Olympiateilnehmer für Deutschland im Trap und Doppeltrap. Der Wiesbadener trainiert auf dem Freudenberg für die kommenden Aufgaben, wobei er stark hofft, dass eine davon Olympia in Peking sein wird. Und er ist besonders stolz auf die hochmodernen elektronischen Anzeigetafeln. Im Sonnenlicht können Namen und Zahlen noch immer problemlos abgelesen werden. „Die sind qualitativ sogar besser als auf dem italienischen Schießstand bei Lonato“, sagt er. Und dort werden regelmäßig Weltcups und internationale Titelkämpfe ausgeschossen.

So ist der Rheinblick sein neues Mekka geworden, ebenso wie für seinen aus Ludwigshafen stammenden Kollegen Stefan Ommert. Bis in den Dezember hinein lieferten sich die Doppeltrapspezialisten heiße interne Trainingsduelle und fühlten sich von Anfang an unter den neuen und weit verbesserten Bedingungen wie Zuhause. „Inzwischen kann ich durch die neue Software drei Stände auf meine Sportart einstellen. Damit steigt die Chance, dass ich immer trainieren kann, wenn ich möchte und die Stände nicht schon besetzt sind.“ Außerdem sei das Training individueller zu steuern.

Das ist ein Verdienst der Drei-Stand-Technik. „Alle drei Schießplätze sind problemlos, quasi per Knopfdruck, von Trap auf Doppeltrap auf Skeet umzustellen“, sagt Michael Eck, der erste Vorsitzende des Gastgebers WTC Wiesbaden. Der WTC, einer der größten und erfolgreichsten deutschen Vereine, spürt schon die enorme Anziehungskraft des praktisch nagelneuen Schießstandes. „Wir freuen uns über einen verstärkten Mitgliederzuwachs.“ Besonders in den Wochen vor Weihnachten war der Stand für Firmenfeiern genutzt worden, nach dem nachmittäglichen Schießen ging es zum Essen in die Gastronomie über der Sportanlage, mit Blick bis hinunter ins glitzernde Wiesbaden. Und sportlich hat der WTC, dessen Kooperation schon während der Baumaßnahme mit dem Deutschen Schützenbund reibungslos funktionierte, jetzt viel vor. „Wir wollen uns zur Kaderschmiede entwickeln“, hat Michael Eck sich und seinem Team ehrgeizige Ziele gesetzt.

Mit Waldemar Schanz hat er einen namhaften Lokalmatador, doch er sagt auch: „Waldemar wird kaum noch 15 Jahre schießen.“ Deshalb soll so schnell wie möglich der Nachwuchs gezielt gefördert werden. Doch der „Platzhirsch“ Schanz verfolgt noch immer ehrgeizige Ziele. „Ich möchte durch einen Medaillengewinn beim Weltcup in Peking doch noch über eine Wild Card zu den Spielen kommen“, plant der 39-Jährige. Um möglichst auch mit Edelmetall von Olympia heimzukehren.

Er wird Heimrecht genießen, wenn es 2008 bei Vorbereitungen und Qualifikationen um wichtige Treffer geht. Auf dem total renovierten Schießstand finden einige Lehrgänge des Hessischen wie des Deutschen Schützenbundes statt, so der Lehrgang mit Qualifikation des deutschen Doppeltrapkaders für den Grand Prix auf Zypern – und auf der Mittelmeerinsel wiederum geht es dann um die Tickets zum Weltcup nach Peking.

Auch eine von zwei Ranglisten, verbunden mit Lehrgängen zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele, wird auf dem Rheinblick abgehalten, der zweite in Berlin-Hoppegarten. Das größte Ereignis in Wiesbaden ist zweifellos in dieser neuen Saison das Internationale Trap-Meeting am letzten April-Wochenende. Etwa 150 Spitzensportler dieser Sportart, Welt- und Europameister, aus rund 15 Ländern werden erwartet – und sie alle werden sich freuen über die optimalen Bedingungen. „Hier könnte man ohne Weiteres ein Weltcupfinale ausrichten“, sagt Schanz zu den neuen Möglichkeiten.

Der neue Stand war über die Sondermitgliedsabgabe aller DSB-Mitglieder mitfinanziert worden und stellt den ersten Schritt zur Modernisierung des Bundesleistungszentrums Wiesbaden dar, ein Quantensprung besonders für die Nachwuchsförderung. „Es geht dabei um die Zukunft des Leistungssports, es geht um die Rückgewinnung der Stellung als das Trainings- und Ausbildungszentrum für Schieß- und Bogensport in Deutschland und der Welt“, sagte DSB-Präsident Josef Ambacher (Foto 2.v.r. bei der Schlüsselübergabe) mit Blick auf den verkehrstechnisch zentral gelegenen Standort, den die hessische Landeshauptstadt dem DSB bietet. Neben dem Bundesleistungszentrum ist auch die Bundesgeschäftsstelle in Wiesbaden beheimatet.

An der Renovierung hatten sich unterstützend und fördernd das Bundesministerium des Innern, das Hessische Innenministerium, die Stadt Wiesbaden, der Hessische Schützenverband, der WTC Wiesbaden und natürlich der Deutsche Schützenbund maßgeblich beteiligt. Es wurde mit drei Ständen mit Absicht keine gigantische Großsportanlage geplant. „Sie sollte klein aber fein sein und für die deutsche Schützenelite mit allen modernen Anforderungen aus Technologie, Leistungsdiagnostik und Trainingswissenschaft ausgestattet werden, für die Topsportler unseres Landes“, hob Ambacher den Sinn der Maßnahme hervor.

Damit wird eine lange Tradition fortgesetzt. Deutsche Meisterschaften richtete der DSB seit 1953 wieder aus, zunächst in Nürnberg. Zwischen 1957 und 1959 fanden die DM abwechselnd in Nürnberg-Erlensteg und Hannover-Wülfel statt. Beide Austragungsorte stellten sich zunehmend als unbefriedigend heraus, so dass die Meisterschaften für 1959 frei ausgeschrieben wurden. Im gleichen Jahr gab es erstmals Überlegungen über eine zentrale Schießsportschule in Wiesbaden, wo seit der Wiedergründung die Bundesgeschäftsstelle beheimatet war. Die Stadt brachte ein Gelände in Klarenthal ins Gespräch, unweit von den Ständen der alteingesessenen Wiesbadener Schützengesellschaft bei der Fasanerie. Man dachte auch darüber nach, ob auf dem vorhandenen Schießstand des nicht weit entfernten Freudenbergs nicht eine für große Meisterschaften ausreichende Anlage entstehen könnte.

Der Schießstand war im Besitz der amerikanischen Besatzungstruppen, die dort militärisches Schießtraining absolvierten. Bundesgeschäftsführer Ernst Zimmermann hatte den Amerikanern bereits das Gastrecht für eine Großveranstaltung pro Jahr abgehandelt. Die vorhandenen 25-Meter-Pistolenstände waren in hervorragendem Zustand. Bis zur Ausrichtung der DM 1960 in den „Internationalen Wettbewerben“, wie die olympischen Disziplinen genannt wurden, errichtete man eine 90 Meter lange Stahlrohrhalle mit 72 Schießbahnen, von denen zehn für 300-Meter-Wettbewerbe vorgesehen waren. Die Kleinkaliberbahnen waren mit ferngesteuerten Scheibenwechslern ausgestattet, der Stand bekam sechs Drehscheibengruppen für das Schnellfeuerschießen und sechs weitere für die damals noch gängige Gebrauchspistole.

Zur Einweihung der neuen Anlage fand ein Länderkampf gegen die USA statt, die keine Probleme hatten, aus den in Deutschland stationierten Soldaten eine Nationalmannschaft zu bilden. In den Kleinkaliberwettbewerben siegten die Deutschen mit Bernd Klingner, Klaus Zähringer, Karl Wenk und dem späteren Olympiasieger Peter Kohnke, in der für sie noch ungewohnten 300-Meter-Disziplin mussten sie Lehrgeld zahlen: Hans Werner Harbeck hatte zwei Tage zuvor zum ersten Mal über diese Distanz geschossen. Die Amerikaner traten mit dem damaligen Weltrekordinhaber Daniel Puckel an, und ein 20-jähriger Korporal aus Nebraska hatte seinen ersten beachtlichen Auftritt auf dem internationalen Schießsportparkett: Gary Anderson, der später mit unzähligen Weltmeistertiteln und den Olympiasiegen 1964 in Tokio und 1968 in Mexiko-City über Jahre das Geschehen in der Weltspitze beherrschen sollte.

Die Anfang September 1961 erstmals komplett (außer den jagdlichen Disziplinen) ausgetragenen Deutschen Meisterschaften machten auf dem Freudenberg eine Erweiterung erforderlich. 90 Luftgewehrschießbahnen, 10- und 30 Zimmerstutzen-Schießbahnen für 15 Meter kamen hinzu. 2.784 Meldungen von 1720 Teilnehmern lagen 1961 vor. Noch waren die Einrichtungen aber mehr oder weniger provisorisch: Die sanitären Anlagen ließen zu wünschen übrig, es gab keine Aufenthaltsräume, geschweige denn ein Restaurant.

Dies änderte sich, als 1965 die ersten Funktionsgebäude für die im nächsten Jahr anstehenden Weltmeisterschaften in Betrieb genommen wurden. Auch die Schießstände erhielten zum Teil neue Technik, eine Wurfscheibenanlage und einen Siegerehrungsplatz gab es jetzt auch. 1,6 Millionen Mark – zum größten Teil als Zuschüsse aus öffentlichen Töpfen für den Ausbau der Anlagen auf dem Freudenberg – wurden ausgegeben. Mit über 1.000 Teilnehmern aus 50 Nationen waren die 39. Schießsportweltmeisterschaften in Wiesbaden die bis dahin größte internationale Sportveranstaltung nach dem Krieg.

Von den Erweiterungen profitierten auch die Deutschen Meisterschaften, denn zum ersten Mal konnten 1966 alle Disziplinen außer dem Bogenschießen in einer Veranstaltung ausgetragen werden. Die Stimmung war so euphorisch, dass der Freudenberg sogar eine Zeitlang als Austragungsstätte für die Olympischen Schießwettkämpfe bei den Spielen von 1972, für die sich München gerade bewarb, gehandelt wurde.

 

Die letzten Deutschen Meisterschaften auf dem Freudenberg fanden 1973 statt, seit 1974 werden sie auf der Olympiaschießanlage in München-Hochbrück ausgetragen. Danach wurde es ziemlich schnell ruhig auf den Kugelständen, während die Wurfscheibenanlage vom 1966 gegründeten Wurftaubenclub Wiesbaden (WCW) sehr erfolgreich weiter genutzt wurde.

Beitrag: Stefan Grus und Harald Strier