Weltmeisterschaften

Vor 100 Jahren – die 13. Schießsport-WM 1909 in Hamburg

20.11.2009 12:08

Vom 29. Juli bis zum 11. August 2010 finden auf der Olympiaschießanlage in München die 50. ISSF Weltmeisterschaften im Sportschießen statt. Neben den Teil-Championaten für Wurfscheibe 1936 und 1939 in Berlin und denen für Laufende Scheibe und Wurfscheibe 1975 in München ist dies nach Wiesbaden 1966 und Suhl 1986 die vierte komplette Weltmeisterschaft in den ISSF-Disziplinen auf deutschem Boden. Die erste fand vor 100 Jahren statt, im Juli 1909 in Hamburg.

 

Die Schießsportweltmeisterschaften gingen ursprünglich aus Wettkämpfen hervor, die seit 1872 in Mâcon und Lyon stattgefunden und an denen auch Holländer, Schweizer und zunehmend andere Nichtfranzosen teilgenommen hatten. Zum 25-jährigen Jubiläum dieser Veranstaltung lud der Präsident der Lyoner Schützengesellschaft, François Monod, nach intensiver Vorbereitung und in Abstimmung mit den bisherigen Teilnehmern für das Jahr 1897 zu einem großen internationalen Wettschießen auf 300 Meter mit Freier Waffe nach Lyon ein.  

Das „Internationale Match“ von 1897, ein Mannschaftsturnier mit Einzelwertung in drei Stellungen, zählt die ISSF offiziell als die ersten Schießsportweltmeisterschaften. Im Jahr 1900 wurde das Pistolenschießen auf 50 Meter, ebenfalls mit einer nicht reglementierten Waffe, ins Match-Programm aufgenommen. 

Die deutschen Schützen (Foto oben deutsche Gewehrmannschaft) taten sich mit diesen internationalen Veranstaltungen ganz schwer. In den Schützengesellschaften sowieso, aber auch bei den regionalen und deutschen Bundesschießen wurde in der Regel mit immer mehr verfeinerten Scheibengewehren, Bleikugeln und stehend freihändig geschossen. 

Die militärischen Stellungen, das Kniend- und Liegendschießen, und die scharfe, stark rückstoßende Mantelmunition waren den etwa 25.000 Schützen in den 600 Vereinen, die der Deutsche Schützenbund 1905 umfasste, fremd. Die beiden ersten Teilnahmen deutscher Mannschaften bei den „Internationalen Matches“ von Paris 1900 und Luzern 1901 endeten daher auch mit enttäuschenden vorletzten Plätzen. 

Nicht der Durchbruch, aber ein entscheidender Fortschritt war die vom Gesamtvorstand im Jahr 1906 beschlossene Erlaubnis, dass die Armeegewehrscheibe künftig auch kniend und liegend mit dem Armeegewehr beschossen werden dürfe. Im gleichen Jahr beschlossen die Teilnehmer beim Gewehr- und Pistolen-Match in Mailand, sobald wie möglich einen internationalen Dachverband zu gründen. 

Zwar gehörten die Deutschen bei der Konstituierung der „Union International de Tir“ (UIT) in Zürich 1907 – kurioserweise neben dem Gastgeberland Schweiz – nicht zu den Gründungsmitgliedern. Aber schon im Jahr darauf, bei den zwölften Weltmeisterschaften 1908 in Wien, nahmen nicht nur zwei komplette Mannschaften (Gewehr und Pistole) des Deutschen Schützenbundes teil, sondern der Verband trat auch der UIT bei und bewarb sich erfolgreich für 1909 um die Austragung des nächsten Matches. 

Natürlich gestalteten sich die Vorbereitungen als schwierig: Die Stände für das 16. Deutsche Bundesschießen in Hamburg, in dessen unmittelbarem Vorfeld das Weltmeisterschaftsturnier stattfinden sollte, lagen in bewohnten Gebieten, so dass wegen der zur Verwendung kommenden Mantelgeschosse auf die Anlage des neuen Hamburger Schützenhofes ausgewichen werden musste. Aufgrund des Rekordteilnehmerfeldes von zehn Nationen wurde der Gewehrwettkampf auf drei Tage verteilt, für jede Nation mit hohem Kostenaufwand ein eigener Stand errichtet. 

Jede Mannschaft bestand aus fünf Schützen, die jeweils 40 Schuss in den drei Stellungen auf die 300 Meter entfernte Scheibe mit einem Zehn-Zentimeter-Zehnerring abgaben. Favoriten waren neben den Franzosen die Schweizer, die mit Konrad Stäheli (Foto Mitte), Jean Reich und Marcel Richardet bereits mehrfache Weltmeister in ihren Reihen hatten und die vor dem Wettkampf fleißig trainierten, um sich mit den Tücken der Anlage vertraut zu machen. Für den Deutschen Schützenbund traten Christoph Bankel aus Lauf, Emil Pachmayr (Foto links) aus Traunstein, Eduard Wahl aus Oberndorf und die beiden Nürnberger Peter Lorenz und Hans Lechner an. 

Nicht überraschend gewann das Schweizer Team die Mannschaftswertung knapp vor den Franzosen, die die Belgier deutlich auf den dritten Rang verwiesen. Die deutsche Gewehrmannschaft landete erwartungsgemäß im hinteren Mittelfeld, ringgleich mit Holland auf dem siebten Platz. Eine Sensation dagegen war, dass der junge Büchsenmacher Emil Pachmayr (1882 bis 1962) mit seinem Einzelsieg im stehenden Anschlag nicht nur in die Phalanx der mit Stäheli (liegend) und Kaspar Widmer (kniend/Foto rechts) ansonsten siegreichen Schweizer einbrach, sondern mit 334 Ringen auch einen neuen Weltrekord aufstellte und in der Gesamtwertung Vizeweltmeister wurde. 

Beim Pistolenschießen auf 50 Meter kam der vom Deutschen Pistolenschützenbund aufgestellten Mannschaft vielleicht zugute, dass sie von den Konkurrenten unterschätzt wurde, obwohl der Geraer Hofbüchsenmacher Richard Fischer, Weltmeister von 1908, wieder am Start war. Weit abgeschlagen war die Pistolenmannschaft in Wien nur Fünfte geworden. 

Aber der Leipziger Franz Schmeisser hatte einen extrem guten Tag, wurde Vizeweltmeister in der Einzelwertung und führte das deutsche Team, das noch aus Eduard Ehricht (Eisleben), Christoph Vogel (Nürnberg) und dem Wilmersdorfer Fritz Block bestand, unter großem Jubel der Zuschauer zum Mannschaftstitel, und zwar deutlich vor der Schweiz und Frankreich. 

Die 13. Weltmeisterschaften 1909 in Hamburg blieben vor dem 1. Weltkrieg ein einsamer Höhepunkt in der deutschen Schießsportgeschichte: Emil Pachmayr und Eduard Ehricht wurden 1910 im holländischen Loosduinen ebenso Vizeweltmeister wie 1911 in Rom die Pistolenmannschaft. Danach landete bis 1935 (Erich Krempel, Vizeweltmeister Pistole) kein einziger Deutscher mehr auf dem UIT-Treppchen. Übrigens: Nach den Bahnradrennfahrern und den Ringern war der Deutsche Schützenbund im Jahr 1909 der dritte Sportverband, der Weltmeisterschaften in Deutschland ausrichtete.

Beitrag und Fotos: Stefan Grus