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Schützen gegen Extremismus: Ein Vereins-Vorsitzender berichtet

05.01.2021 09:15

Reiner Weidemann, Vorsitzender des Schützenclubs 1952 Sandershausen e.V., schreibt über das Attentat an dem Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke. Der mutmaßliche Täter war Mitglied in seinem Verein.

Bild: DSB / Der Deutsche Schützenbund steht für einen weltoffenen und toleranten Sportverband, doch Extremismus hat im DSB, seinen Landesverbänden und Vereinen keinen Platz.
Bild: DSB / Der Deutsche Schützenbund steht für einen weltoffenen und toleranten Sportverband, doch Extremismus hat im DSB, seinen Landesverbänden und Vereinen keinen Platz.

Der 1. Juni 2019 sollte unseren Verein in seinen Grundfesten erschüttern. Dies war der Tag, an dem unser Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke erschossen wurde.

Für uns alle unfassbar, wurde ein Mitglied unseres Schützenvereins als Tatverdächtiger festgenommen. Wir konnten es erst nicht glauben. Wir haben uns in dieser Zeit oft getroffen, miteinander gesprochen und uns gegenseitig Mut gemacht. Mut, den wir dringend brauchten, um die nachfolgende Zeit zu überstehen. Wir haben uns gefragt, ob wir etwas übersehen oder etwas falsch gemacht haben. Einige wollten sogar ihren geliebten Schützensport aufgeben – unser Verein war von einem zum anderen Moment in seinen Grundfesten erschüttert worden.

Ich wurde von vielen Menschen angesprochen und musste jedes Mal dazu Stellung beziehen – das wünsche ich niemandem.

Reiner Weidemann, Vorsitzender des Schützenclubs 1952 Sandershausen e.V.

Was uns sehr belastet hat: Keiner hatte etwas bemerkt! Wir sind uns aber alle einig, dass auch nichts zu bemerken war. Das Mitglied war stets freundlich und hilfsbereit. Der sollte einen Menschen umgebracht haben? Das war für uns alle unvorstellbar und unfassbar.

Und dann wurde unser Verein von den Ermittlungsbehörden durchleuchtet, mit Verhören und Beschlagnahmung von Unterlagen. Plötzlich wurden wir in Mordermittlungen miteinbezogen, was ich als eine große Belastung empfunden habe. Hinzu kamen auch die unzähligen Anfragen und Interviews der Fernsehsender und der Presse mit bohrenden Fragen und Aufzeichnungen für die Nachrichten, was bis heute andauert. Ich wurde plötzlich im Fernsehen mit einem Mordfall in Verbindung gebracht und wurde in der Presse zitiert. Das war für mich schon eine große Bürde, in diesem Rahmen in den Medien aufzutauchen. Ich wurde von vielen Menschen angesprochen und musste jedes Mal dazu Stellung beziehen – das wünsche ich niemandem.

Sehr geholfen haben mir in dieser Zeit die Gespräche mit Mitgliedern anderer Vereine, der Verbände und der Ermittlungsbehörden, die mich mit der Aussage beruhigten, dass wir nichts falsch gemacht haben. Für alle Vereinsmitglieder war auch die Aufarbeitung des Themas mit den Mitarbeitern der Sportjugend Hessen sehr wichtig und hilfreich.

Seit dieser Zeit werden Neumitglieder von unserem Verein genauer betrachtet, und wir führen Bewerbergespräche. Endgültig aufgenommen werden sie – das war schon immer so – erst in der nächsten Jahreshauptversammlung. Gespräche werden auch bei einer Waffenbeantragung geführt.

Wenn der Verein oder die Verantwortlichen bei einer Person ein schlechtes Gefühl haben, sollte man sich nicht schämen oder zögern und Hilfe von außen in Anspruch nehmen. Das kann der Landes- oder Bundesverband sein und wenn unmittelbare Gefahr im Verzug ist, sofort die Polizei. Wir hoffen, dass hierdurch solche Straftaten im Vorfeld erkannt werden.

Ich hoffe für die Zukunft, dass sich das Vereinsleben wieder auf einen normalen Stand einpegelt, aber ganz so wie früher wird es wohl nie wieder werden.

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