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Themenwoche: Was bedeutet es, mutig zu sein?

06.07.2020 08:04

Bei der ersten DSB-Themenwoche steht das Stichwort „Mut“ im Fokus. Trainer sagen einem oft, man müsse im Wettkampf mutiger sein. Und auch DSB-Sportpsychologin Karin Steurenthaler ist der festen Überzeugung: „Im Sport muss man, um zu gewinnen, oft etwas riskieren. Es braucht Mut etwas zu wagen, von dem man das Ergebnis nicht kennt, eventuell sogar Mut zu scheitern.“ Doch was bedeutet es, mutig zu sein? Und kann ich das lernen?

Bild: DSB/ Lisa Unruh muss mit ihrem Team mutig sein, um am Ende ganz vorne mitzuspielen.
Bild: DSB/ Lisa Unruh muss mit ihrem Team mutig sein, um am Ende ganz vorne mitzuspielen.

Wenn man Christian Reitz mit seiner Schnellfeuerpistole an der Feuerlinie stehen sieht, dann erkennt man kein Zögern, kein Wackeln, keine Unsicherheit. Blickt man Lisa Unruh bei den entscheidenden Pfeilen in die Augen, sieht man dort pure Entschlossenheit, ihren Fokus und ihren Willen, aber niemals Zweifel. Was beide gleichermaßen auszeichnet, ist ihr Mut. Mut, im richtigen Augenblick zu riskieren. Warum stellen sich beide immer jeder Herausforderung? Kann man lernen, mutig zu sein? Und muss man mutig sein, um erfolgreich zu werden?

Die Psychologen Peterson und Seligmann definierten 24 Charakterstärken eines Menschen, die sie in sechs menschliche Tugenden zusammengefasst haben – darunter fällt auch der Mut. Er gehört damit zu den Kerneigenschaften des menschlichen Funktionierens und beschreibt eine emotionale Stärke, die gepaart mit Willensleistung dabei hilft, interne und externe Barrieren zu überwinden, um ein Ziel zu erreichen.

Mut hat auch damit zu tun, Unsicherheiten zu tolerieren und es trotzdem zu wagen.

Karin Steurenthaler, DSB-Sportpsychologin

Risikofaktoren richtig abschätzen

Bild: DSB / Egal, welcher Gegner: Bei Christian Reitz sieht man keine Zweifel am Stand.
Bild: DSB / Egal, welcher Gegner: Bei Christian Reitz sieht man keine Zweifel am Stand.

Spitzensportler wie Lisa Unruh und Christian Reitz mussten zahlreiche Hürden in ihrer Sportlerlaufbahn überwinden: Qualifikationskriterien, Verletzungen, starke Gegner oder die eigenen Gedanken – es hätte viele Gründe gegeben, aufzuhören und den Sport an den Nagel zu hängen. Doch beide Sportler beweisen einen außerordentlichen Willen, sie bemühen sich stets, einen Schritt weiter zu gehen und zeigen damit genau das, was Mut im ursprünglichen Sinne bedeutet. „Mut hat auch damit zu tun, Unsicherheiten zu tolerieren und es trotzdem zu wagen“, so Kerschensteiner, die für den DSB ein psychologischen Rahmenkonzept erarbeitet hat. Das Wort „Mut“ leitet sich aus dem  ideogermanischen „mo“ ab, was „einen starken Willen besitzen“ und „sich bemühen“ bedeutet sowie dem althochdeutschen „mout“, was „Sinn“, „Seele“ (auch „Geist“), „die Kraft des Wollens“ und „Bereitschaft des Empfindens“ bedeutet. Mut erfordert daher eine bestimmte Menge an Entschlusskraft, sich Unangenehmem zu stellen oder es auch zu verweigern, wenngleich Nachteile oder eigene Verluste in Kauf genommen werden. Mutige Menschen schätzen Risikofaktoren also richtig ab. Das beobachtete auch der bereits 1886 geborene US-amerikanische Unternehmensleiter und soziologischer Management-Theoretiker, Chester Barnard: „Einen Versuch wagen und dabei scheitern, bringt zumindest einen Gewinn an Wissen und Erfahrung. Nichts riskieren dagegen heißt, einen nicht abschätzbaren Verlust auf sich nehmen – den Verlust des Gewinns, den das Wagnis möglicherweise eingebracht hätte."

Mutig sein und Ängste überwinden

Dabei heißt es nicht, dass mutige Sportler keine Angst vor dem Versagen haben, aber wie Francois Mitterand es bereits einmal formulierte: „Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern die Angst zu überwinden.“ Es gilt, sich seines Könnens und seiner eigenen Kräfte bewusst zu sein, um so die Gefahr erfolgreich zu überwinden bzw. der Angst etwas entgegenzusetzen. Es geht also vielmehr darum Stärken zu aktivieren, denn dann wird man automatisch mutiger. Aber auch Neugier, Verzweiflung, Wut oder aber auch Empörung, z.B. über ein ungerechtes Verhalten eines anderen Sportlers, können einen selbst mutiger machen. Mut ist daher in hohem Maße eine Frage der Einstellung, denn wer Mut hat, besitzt das Vertrauen, dass er sein Ziel erreichen bzw. mit Risiken und Schwierigkeiten auf dem Weg dorthin umgehen kann. Tennisstar Steffi Graf sagte einst: „Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen.“ Welche Strategie dem Sportler dabei helfe, seine Angst zu überwinden, sei jedoch sehr individuell, so Steurenthaler.

Ist Mut angeboren?

Ob ein Mensch eher mutig oder eher zurückhaltend wird, das zeigt sich schon oft kurz nach der Geburt, auch wenn man nicht sagen kann, dass mutiges Verhalten angeboren ist. Inzwischen weiß man, dass die Epigenetik ausschlaggebend ist, wie stark äußerliche Merkmale und Persönlichkeitsmerkmale ausgeprägt werden. Man vermutet auch, dass es Effekte des mütterlichen Hormonspiegels sind, der beeinflusst, ob ein Kind sich vor neuen Dingen eher fürchtet oder mutig auf Neues zugeht. Zu viel Mut bzw. „angstfreier Mut“ kann jedoch auch gefährlich sein. Trainiert jemand über seine Schmerzgrenze hinaus, können lebenslange körperliche Einschränkungen die Folge sein. Von Mutproben ganz abgesehen. Und nicht zuletzt sieht man immer wieder Sportler, die sich selbst überschätzen und dann schnell merken: Hochmut kommt vor dem Fall. „Mutfreie Angst“ kann wiederum zu Depressionen oder Ähnlichem führen.

Mut trainieren und Vertrauen tanken

Auch hier gilt es immer die richtige Balance zu finden und das Risiko abzuwägen, seinen Verstand und sein Wissen einzusetzen, um zu reflektieren und zu kalkulieren, aber am Ende vor allem zu handeln. Denn man muss schon mutig sein wollen. Deshalb vergleichen Psychologen Mut gerne mit einem mentalen Muskel: Je mehr man ihn trainiert, desto stärker wird er. Je mehr Schüsse man in die Zehn setzt, desto risikofreudiger ist man, da man die Konsequenzen besser einschätzen kann. Je mehr Erfahrung man in Finals gesammelt hat, desto besser lassen sich Situationen und eigene Verhaltensweisen einschätzen. Je mehr man in sich selbst vertraut, desto leichter lassen sich Entscheidungen treffen. Mut ist dabei der Grundstein, wie Steffen Kirchner, der vom Tagesspiegel zu einem der führenden Sportexperten und Mentaltrainer in Deutschland gezählt wird, in einem Podcast erklärt: „Mut ist viel wichtiger als Selbstvertrauen, deshalb sollte man jemanden auch etwas zumuten. Wenn ich jemanden etwas zumute und somit auch zutraue, wird er Vertrauen zu mir aufbauen. Wenn du dir also selbst vertrauen willst, solltest du dir auch selbst etwas zutrauen bzw. zumuten, wofür du dich vielleicht selbst noch nicht bereit fühlst.“

Tapferkeit, Verausgabungsbereitschaft, Authentizität und Enthusiasmus sind Charaktereigenschaften, die den Mut eines Menschen begünstigen und sicher ist, dass jeden dieser Erfolgsmenschen auch mal der Mut verlässt. Doch, wer jedes Risiko scheut, der zerstört all seine Chancen. Erfolgsmenschen vertrauen sich selbst, sie lernen den inneren Champion zu entwickeln, um am Ende auch nach außen hin erfolgreich zu sein. Blickt man am Ende wieder auf Spitzensportler wie Lisa Unruh oder Christian Reitz, weiß man: man wird niemals siegreich, ohne mutig gewesen zu sein.

 

Quellen:

Peterson, C. & Seligman, M. E. P. (2004). Character strengths and virtues: A handbook and classification. New York, NY: Oxford University Press.

Sauer, F. (2017). Ezyklopedie der Wertevorstellungen - Mut. URL: https://www.wertesysteme.de/mut (03.07.2020)

Stangl, W. (2020). Stichwort: 'Mut'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. URL: https://lexikon.stangl.eu/24992/mut/ (23.6.2020)

Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie (2020). Charakterstärken. URL: https://www.dgpp-online.de/home/themen-der-positiven-psychologie/charakterst%C3%A4rken/ (03.07.2020)

Greator – GEDANKEN tanken (21. Juni 2020). Steffen Kirchner: Wie überwinde ich Selbstzweifel?

[Audio podcast]. URL: open.spotify.com/episode/1MZ77aG3np3jgmQFXdVqjD

Kirchner, Steffen (2020), Der Sportexperte. URL: https://www.steffenkirchner.de/profil/sportexperte.htm (03.07.2020)

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