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Daniel Brodmeier: Ein Leben zwischen Herzblut und Vernunft

13.02.2019 09:24

Wenn sich nun die besten Schützen Deutschlands auf die internationalen Höhepunkte des Jahres vorbereiten, wird einer fehlen: Daniel Brodmeier. Der Niederlauterbacher nahm bereits zweimal an den Olympischen Spielen teil, schaffte dort den Einzug ins Kleinkaliber-Finale der besten Acht und verpasste in Rio 2016 mit Platz vier im Dreistellungskampf nur hauchdünn eine Medaille. Tokio 2020 hatte er bereits im Visier, doch jetzt ist Schluss.

Lässig schlendert „Brodi“ über die Schießanlage in München Hochbrück. Jeder herzt ihn, jeder klopft ihm auf die Schulter. Es ist sein Wohnzimmer, in dem er die letzten Jahre an sich und seiner Leistung gefeilt hat. Doch eines ist in diesen Tagen anders als sonst: Brodmeier trägt nicht die Nationalkaderkleidung, hat kein Gewehr im Schlepptau. Er ist als Zuschauer beim internationalen Wettkampf vor Ort, will sich noch einmal bei all den Leuten bedanken, die ihn auf seinem Weg begleitet haben, denn nach über zehn Jahren verabschiedet er sich von der internationalen Bühne.

Jahrelang hat der Sport regiert, jetzt hat die Vernunft gesiegt

2006 gewann Brodmeier seine erste WM-Medaille mit dem Kleinkaliber in Zagreb, damals noch als Junior, kämpfte sich Schritt für Schritt in die internationale Spitze und feierte 2013 in Fort Benning seinen ersten Weltcup-Sieg. Bei den Weltmeisterschaften in Changwon im vergangene Jahr holte er zusammen mit Maxi Dallinger und Christoph Kaulich seinen wohl letzten WM-Titel (KK-Liegend). Doch die Weltmeisterschaft hat Brodmeier verändert: „Ich bin aus Korea wiedergekommen und habe gesehen, dass mir meine Arbeit wahnsinnig viel Spaß macht. Ich habe eine Möglichkeit gesehen, mich dort weiterzuentwickeln.“ Seit Jahren arbeitet der gelernte Elektroniker für Geräte und Systeme neben dem Leistungssport, wurde dort soweit es geht freigestellt, den Ausfall zahlte die Sporthilfe, die Arbeit mussten Kollegen auffangen. „2019 wäre ich von 249 Arbeitstagen, 170 nicht da gewesen“, erzählt Brodmeier, „ irgendwann kann man das mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbaren“. Die fehlende Möglichkeit für Weiterbildung der schnelllebigen, hochtechnischen Entwicklungsbranche und der Wunsch mit 31 Jahren nach einem „eigenen Nest“, hätten ihn zum Nachdenken gebracht. „Ich habe Pro- und Kontra-Listen geschrieben“, so Brodmeier, der mehrere schlaflose Nächste verbrachte, ehe eine Entscheidung feststand, „am Ende standen auf der Pro-Seite Menschen, aber das war‘s auch schon. Die Vernunft hat gesiegt.“ Für ihn die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit.

Ohne seinen größten Fan, kein Tokio 2020

Eine Entscheidung, die der langjährige Nationalkaderschütze vielleicht auch deshalb traf, weil sein größter Fan ihn nicht mehr auf seinem sportlichen Weg begleiten kann. Durch seinen Opa, der selbst einen KK-Schützenverein aufbaute, kam Daniel Brodmeier zum Schießsport, vor wenigen Wochen verstarb er: „Ich bin mir sicher, wenn mein Opa noch wäre und gesagt hätte ‚des pack ma jetzt no o‘, dann hätte ich es noch durchgezogen, dann hätte ich auf meine Zukunft geschissen und hätte alles fürs Schießen aufgegeben.“ Man merkt ihm an, dass dieser Gedanke schmerzt, gleichzeitig zeigt sich Brodmeiers Stärke, denn immer war er der Positiv-Denker im Team: „Alles hat seine Zeit und alles hat seinen Grund. Ich glaube nicht, dass ich das noch erfolgreich hätte gestalten können, mit den Gedanken, die ich im Hintergrund habe. Ich hätte keine 100 Prozent geben können, das wäre nicht gut ausgegangen, da bin ich mir sicher. Entweder mache ich etwas ganz oder gar nicht.“

Sein Durchhaltevermögen, seine Ehrlichkeit und sein Perfektionismus haben ihn im Sport weit gebracht. Der Sport, der seit seinem achten Lebensjahr seinen Rhythmus bestimmt hat und ihn auf die „reale Welt“, wie er selbst sagt, vorbereitet hat: „Der Sport hat mir alles gegeben – viel Freude, viel Leid, viele Freunde und Erfahrungen. Ich bin dadurch stressresistent geworden und mache mit einer gewissen Ruhe meine Tätigkeiten.“ Seine innere Ruhe, die er nach außen hin ausstrahlt, hat er sich durch seine täglichen Meditationen erarbeitet und aufs ganze Team übertragen. Ein Team, das nun ohne ihn um Quotenplätze für Tokio 2020 kämpfen muss.

„Alle müssen positive Signale geben“

„Wegen meiner Teamkollegen habe ich mir die Entscheidung so schwer gemacht“, erklärt Brodmeier  wehmütig, „gerne wäre ich noch bis Tokio dabeigeblieben, um anderen ein wenig den Druck zu nehmen.“ Aus Erfahrung weiß er, wie wichtig das sein kann, dass andere die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, um selbst an seinen Aufgaben zu wachsen, und so hätte der Bayer gerne noch einmal „diesen Job“ übernommen. Trotzdem glaubt er daran, dass sie den Weg auch ohne ihn meistern können: „Ihr müsst Vertrauen in euch selbst haben, dann wird es erfolgreich.“ Dass es weitergeht, haben bereits die Damen nach dem Rücktritt von Ausnahmeschützin Sonja Pfeilschifter oder Olympiasiegerin Barbara Engleder gezeigt. Erst so haben Schützinnen wie Isabella Straub, die mit fünf WM-Medaillen aus Korea zurückkehrte, die Chance bekommen, sich zu zeigen. „Ich habe vollstes Vertrauen in die Leute, die jetzt da sind“, bestärkt Brodmeier seine Freunde, „jeder redet von Olympia, aber das Entscheidende ist, dass diese Leute Spaß haben an dem, was sie tun.“

Dieser Spaß an der Sache, sei für ihn die wichtigste Erfolgsformel der letzten Jahre gewesen – ein noch größerer Erfolg, als es eine Olympiamedaille für ihn je hätte sein können. Es ist ein Team daraus entstanden, dass Erfolge gemeinsam feiert, sich füreinander freut und miteinander wächst und trotzdem hat Brodmeier eine Veränderung an sich verspürt: „Am Ende habe ich gemerkt, dass ich mich mehr für andere freue, als für mich selbst.“ Auch das habe zu seiner Entscheidung beigetragen. Dass er in Zukunft für seine Freunde eine Stütze sein will, ist für den Teamplayer selbstverständlich. Selbst wenn er die internationale Bühne verlässt, wird „Brodi“ nicht aus der Welt sein und weiterhin auf nationaler Ebene die Anderen ärgern: „Ich kann das Schießen nicht ganz loslassen, ich würde es nie ganz aufgeben.“ Mit all seiner Erfahrung im Gepäck, äußert sich Brodmeier aber auch kritisch zur Zukunft des Schießsports: „Wir alle – egal ob ISSF, DSB oder Athlet – müssen positive Signale für den Sport geben.“ Nur so hätte der Sport weiterhin eine Perspektive.

Doch für ihn gehe jetzt erst einmal eine „andere Zeit“ los. Ein Umzug in ein Häuschen mit seiner Frau Nicole steht in Kürze an, das Blockhaus, an dem er als „Möchtegernhobbyschreiner“ arbeitet, will endlich fertig gebaut werden – „ankommen im realen Leben“, lautet die Devise. Der Niederlauterbacher hat nun einen anderen Blickwinkel auf die Dinge des Lebens. Nach einem Tag in München mit zahlreichem Händeschütteln, Fragen beantworten und Abschied nehmen, freut sich Brodmeier nur noch auf ein entspanntes indisches Abendessen mit seinem ehemaligen Trainingspartner Maxi Dallinger. Es ist ein Abend unter Freunden, an dem er ihm vor allem eins ans Herz legen will: „Mach das, was dir Spaß macht und was deine Leidenschaft ist, das ist das Wichtigste, alles andere ergibt sich von selbst.“