Weltcup

Weltcup München: Der türkische Super-Star Yusuf Dikec im Interview

22.05.2025 17:34

Yusuf Dikec ist seit dem 30. Juli 2024 wohl der bekannteste Sportschütze der Welt: Der 52-jährige Türke gewann an jenem Tag olympisches Silber im Mixed-Wettbewerb mit der Luftpistole, wurde aber vor allem durch seine Coolness am Schießstand via Social Media berühmt. Mittlerweile hat er eine Million Follower auf Instagram. Dikec wird am Weltcup in München (10. bis 14. Juni) teilnehmen und äußerte sich im Vorfeld im ausführlichen Interview zum Hype und zum sportlichen Geschehen.

Foto: ISSF / Yusuf Dikec, hier bei seiner typischen Schusshaltung, gewann im vergangenen Jahr mit Mixed-Partnerin Ilayda Tarhan den Weltcup in München.
Foto: ISSF / Yusuf Dikec, hier bei seiner typischen Schusshaltung, gewann im vergangenen Jahr mit Mixed-Partnerin Ilayda Tarhan den Weltcup in München.

Ist die Welt nach dem 30. Juli 2024 für dich persönlich eine andere geworden? Wie und wann hast du von deinem Hype mitbekommen?
Dikec: „Für mich persönlich hat sich nach dem 30. Juli 2024 eigentlich nicht so viel verändert. Aber es ist Folgendes passiert: Erstens wurde mein Name Yusuf Dikeç bekannter; zweitens wurde auch die Türkei bekannter; und drittens ist die Sportart, die ich ausübe, sowohl in meinem eigenen Land als auch weltweit bekannter geworden. Das hat mich zusätzlich sehr glücklich gemacht. Ansonsten hat sich in meinem Leben nicht viel verändert. Ich lebe immer noch mein gewohntes Leben, mache weiterhin mein Training, wohne immer noch in derselben Wohnung, bin mit denselben Freunden zusammen.“

Was ist alles nach deinem olympischen Silber-Coup im Mixed an der Seite von Ilayda Tarhan passiert?
Dikec: „Natürlich hat die Medaille, die ich gemeinsam mit Ilayda Tarhan gewonnen habe, uns - besonders mir selbst - viel mehr Bekanntheit und Sichtbarkeit verschafft. Ich habe bei einigen Firmen Sponsorenverträge unterschrieben und dadurch auch finanziell profitiert. Außerdem sind wir sportlich international bekannt geworden. Die Menschen auf der Welt haben den Schießsport kennengelernt. Vor allem in meinem eigenen Land wurde der Schießsport durch diesen Erfolg bekannter. Auch wir als Personen sind dadurch ein Stück weit sichtbarer geworden.
Natürlich haben Ilayda und ich uns sehr gut auf diesen Wettkampf vorbereitet. Bereits in den letzten drei bis vier Jahren haben wir sowohl in Europa als auch weltweit viele Medaillen in der Mixed- und Einzelwertung gewonnen. Im Februar des Olympiajahres wurden wir beim Weltcup in Brasilien Erste, im Juni gewannen wir erneut den Titel beim Weltcup in München, in Ungarn wurden wir Europameister. So erfolgreich wir mit diesen Medaillen auch waren - keine von ihnen hat uns so bekannt gemacht wie die olympische Medaille.“

Plötzlich imitierten absolute Mega-Stars des Sports dich beim Siegesjubel, u.a. Stabhochspringer Armand Duplantis. Was macht das mit dir?
Dikec: „Dass viele erfolgreiche Sportlerinnen und Sportler auf der Welt die gleiche Geste machen wie ich, das macht mich als Sportler natürlich sehr glücklich. Aber es gibt auch eine andere Wahrheit in der Welt: Sport ist - genau wie Kunst oder Musik - etwas Universelles. Wenn im Radio ein schönes Musikstück läuft, versteht man vielleicht den Text nicht, aber wenn es angenehm klingt, schaltet man es nicht aus, sondern hört es bis zum Ende. Ganz gleich, wer es singt oder woher es kommt - beim Sport ist es genauso. Wenn es eine Leistung gibt, dann wird sie von erfolgreichen Sportlerinnen und Sportlern auf der ganzen Welt anerkannt und geschätzt. Denn ganz gleich, welche Religion, Ethnie oder Herkunft man hat - wahre Erfolge finden Anerkennung. Selbst wenn Menschen die Sprache des anderen nicht verstehen oder sich nicht kennen, verbindet das - und das macht uns sehr glücklich. Als Sportlerinnen und Sportler haben wir hier auch gesehen, wie verbindend und friedensstiftend der Sport sein kann. Denn selbst Menschen, die dich nicht kennen, nehmen deine Geste an und machen sie nach. Auch das hat mich glücklich gemacht. Ich sage immer: Menschen mit einem guten Herzen teilen schöne Dinge.“

Foto: Laureussport / Stabhochspringer Armand Duplantis imitierte Dikec bei den Olympischen Spielen und begegnte ihm bei den Laureussport-Awards erneut.
Foto: Laureussport / Stabhochspringer Armand Duplantis imitierte Dikec bei den Olympischen Spielen und begegnte ihm bei den Laureussport-Awards erneut.

Es gab zahlreiche Memes und Kommentare. Was hat dir am besten gefallen und warum?
Dikec: „Unter den Kommentaren waren tatsächlich viele schöne Dinge dabei, die mir sehr gefallen haben. Etwa 90 Prozent der Rückmeldungen waren positiv - das ist einer davon: Jemand schrieb, dass er gelernt habe, dass eine Silbermedaille wertvoller sein kann als Gold. Ein anderer Kommentar zeigte ein Anime-Bild, das von einem japanischen Künstler gezeichnet wurde. Auch das hat mir sehr gut gefallen und mich sehr glücklich gemacht.“

In der Türkei bist du jetzt ein Super-Star? Wie äußert sich das das, und wie gehst du damit um? Und ist alles positiv?
Dikec: „Natürlich hat das nicht nur in meinem eigenen Land, sondern auch weltweit dazu geführt, dass bestimmte Gesten oder Reaktionen übernommen wurden. Zum Beispiel, als ich nach Japan reiste - dort haben mich die Menschen, unabhängig davon, ob sie Sport mögen oder nicht, vom Kleinsten bis zum Ältesten, wirklich mit ganz anderen Augen betrachtet und sehr unterschiedlich aufgenommen. Natürlich gibt es auch in meinem eigenen Land eine große Aufmerksamkeit - und manchmal muss ich sagen, dass mich das auch stört. Es ist nicht so, dass es mich gar nicht belastet - es belastet mich wirklich. Vielleicht, weil ich solche Begegnungen einfach nicht gewohnt bin. Es ist so: Wenn man irgendwo hingeht, sind plötzlich alle Blicke auf einen gerichtet. Man kann sich nicht mehr frei verhalten. Man kann nicht einfach mit Freunden in ein Café gehen, einen Kaffee trinken oder etwas essen, ohne beachtet zu werden. Aber auf der anderen Seite - wenn man sieht, dass Menschen, ganz egal welcher Meinung, welcher Überzeugung oder politischen Richtung sie angehören, einen trotzdem akzeptieren, mögen, begrüßen und sich für einen interessieren - dann macht das einen als Mensch unglaublich glücklich. Ein weiteres Beispiel: Als ich in Spanien war, machten wir auf der Fahrt eine Kaffeepause. Selbst der Mensch an der Rezeption im Café erkannte uns, umarmte uns und zeigte Interesse. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Aber wie gesagt - als Mensch freut man sich sehr darüber, geliebt und anerkannt zu werden.“

Hast du immer auf diese Art geschossen? Oder hast du es auch mit Schießbrille, Gürtel oder anderen Hilfsmitteln getan?
Dikec: „Ich habe im Jahr 2000 mit dem Schießsport begonnen. Seitdem schieße ich immer in derselben Position mit derselben Bewegung. Das ist keine Geste, die speziell für diesen einen Moment bei den Olympischen Spielen entstanden ist. Tatsächlich haben Freunde auf Social Media ein Foto aus dem Jahr 2011 gefunden, als ich beim Weltcup in München siegte - und auch dort ist es genau dieselbe Bewegung, dieselbe Haltung. Es hat sich eigentlich nichts verändert. Natürlich waren meine Haare damals noch etwas dunkler und ich trug keine Brille. Wie gesagt, das ist keine spezielle Haltung für einen besonderen Moment oder einen besonderen Tag. Ich schieße seit meinen Anfängen immer in derselben Position. Der Grund dafür ist folgender: Beim Schießen gilt - je stabiler und ausgeglichener man seinen Körper halten kann, desto höher ist die Trefferquote. Einer der Hauptgründe, warum ich meine Hand in die Tasche stecke, ist genau das: meinen Körper stabiler und ausgeglichener zu halten.“

Deiner Leistung tut der Rummel keinen Abbruch: Bei der Druckluft-EM in Osijek/CRO hast du zweimal Gold und einmal Silber gewonnen. Wie schaffst du es, dich auf den Sport zu konzentrieren?
Dikec: „Ja, bei der Europameisterschaft oder auch bei der Weltmeisterschaft 2014, bei der ich an vier verschiedenen Disziplinen (Luftpistole, Zentralfeuerpistole, Standardpistole, 50m Pistole, Anm. d. Red.) teilnahm, habe ich jeweils zwei Gold- und eine Silbermedaille gewonnen - also in drei von vier Disziplinen eine Medaille geholt. Natürlich kommt Erfolg nicht einfach so. Man braucht dafür hohe Konzentration, Technik und Kraft - und man muss kontinuierlich trainieren. Einer der wichtigsten Faktoren für den Erfolg in unserem Sport ist neben Technik, Kraft und Ausdauer auch das mentale Training. Das ist wie bei einem Schüler: Wenn er sich gut auf eine Prüfung vorbereitet hat und sich bereit fühlt, dann wird die Unsicherheit, das Zögern und die Angst durch eine angenehme Aufregung ersetzt. Weil man weiß, dass man gut vorbereitet ist. Genauso ist es auch im Wettkampf. Wenn ich zu Wettkämpfen fahre, lege ich großen Wert auf intensives mentales Training. Ich bereite mich also sehr gründlich auf meine „Prüfung" vor. Das macht mich vor den Wettkämpfen stärker und selbstbewusster.“

Die deutschen Schießsport-Fans können sich auf dich beim Weltcup in München freuen. Was sind deine Erwartungen dort?
Dikec: „Jedes Jahr findet in München der Weltcup statt. Alle Sportlerinnen und Sportler auf der Welt warten gespannt und mit großem Interesse auf den Weltcup in München, weil es ein sehr wichtiger Wettkampf ist. Auch für mich ist das so. Natürlich möchte ich - wie jede Sportlerin, jeder Sportler - diesen Wettbewerb gewinnen. Ich habe diesen Wettkampf auch in der Vergangenheit schon gewonnen. Aber aufgrund der intensiven Arbeit und der vielen Verpflichtungen konnte ich dieses Mal nicht so gut trainieren. Für mich ist aber eigentlich die Weltmeisterschaft im November (in Kairo, Anm. d. Red.) das Wichtigste. Auch wenn ich hier in München vielleicht nicht meine beste Leistung zeigen kann, werde ich trotzdem mein Bestes geben. Entscheidend ist für mich, dass ich mich sehr gut auf die Weltmeisterschaft im November vorbereite.“

München ist ein sehr gutes Pflaster für dich, dort hast du u.a. 2011 (Einzel) und 2024 (Mixed) gewonnen. Welchen Stellenwert haben München und Deutschland für dich?
Dikec: „Für mich hat Deutschland einen besonderen Platz. Meine Familie lebt auch in Deutschland. Tatsächlich habe ich viele Jahre in der Bundesliga Wettkämpfe bestritten. Etwa fünf bis sechs Jahre habe ich beim TSV Ötlingen in der Bundesliga mitgemacht. Das hat einen sehr großen Einfluss darauf, dass ich heute auf diesem Niveau bin. Denn für mich war die Teilnahme an den Wettkämpfen dort ein sehr gutes Training, ich konnte mich weiterentwickeln und habe immer den Nutzen daraus gezogen. Wie gesagt, ich freue mich, nach Deutschland zu kommen. Hoffentlich werde ich auch in Zukunft, solange meine Gesundheit es erlaubt, weiterhin an Wettkämpfen in Deutschland teilnehmen. Da meine Familie dort lebt, hat Deutschland einen besonderen Platz in meinem Herzen. Ich sende meine herzlichsten Grüße und liebevolle Wünsche von meinem schönen Land Türkei an das Bruder- und Freundesland Deutschland. Meinen deutschen Schützen-Freunden hier schicke ich ganz liebe Grüße.“

Du bist jetzt 52 Jahre alt und hast an bislang fünf Olympischen Spielen (2008 bis 2024) teilgenommen. Wie sehr reizt dich Los Angeles 2028 bzw. wie lange willst du noch international sportlich aktiv sein?
Dikec: „Ja, ich bin 52 Jahre alt. Aber vielleicht ist genau das einer der schönsten Aspekte dieses Sports: Es ist eine Disziplin, die man bis ins hohe Alter fortsetzen kann. Natürlich ist mein endgültiges Ziel das Jahr 2028 – also meine sechsten Olympischen Spiele, die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles. Solange es meine Gesundheit erlaubt, möchte ich diesen Sport bis 2028 weiter ausüben. Und wenn es das Schicksal will, möchte ich 2028 – im Einzel oder im Mixed – noch einmal eine Medaille gewinnen. Mein Herzenswunsch ist eine Goldmedaille, mit der ich meine aktive Karriere beenden möchte.“

Wir danken für das ausführliche Interview und wünschen viel Erfolg. Gibt es zum Abschluss noch etwas, was du loswerden möchtest?
Dikec: „Zum Schluss möchte ich noch eine kleine Anekdote erzählen. Diesen Januar beim H&N Cup in München, sitzen Damir (Mikec, Mixed-Olympiasieger aus Serbien in Paris, Anm. d. Red.) und ich zusammen, wir haben den Wettkampf beendet und trinken Kaffee. Es kam ein anderer Sportler reichte Damir sein Telefon und sagte: „Kannst du ein Foto von mir mit dem Olympiasieger machen?" Damir antwortete: „Aber wir sind die Olympiasieger, wir haben die Goldmedaillen gewonnen, ich glaube, du hast da was verwechselt. Dikec wurde Zweiter." „Ist egal, mach trotzdem ein Foto von mir mit Dikec.:." Natürlich macht uns das wirklich sehr glücklich, sowohl persönlich als auch im Hinblick auf die weltweite Bekanntheit unseres Sports. Wie schön, dass der Schießsport weltweit etwas populärer geworden ist, und darüber freue ich mich sehr.“

Die größten Erfolge von Yusuf Dikec in München
1. Platz Weltcup 2024 Mixed
1. Platz Weltcup 2011 Einzel
3. Platz Weltcup 2012 Einzel
5. Platz Weltmeisterschaft 2010 Einzel

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