Geschichte

Vom Kaiserreich zum Dritten Reich

Die Entwicklung des Schützenwesen

Das Schützenwesen und die Schützengesellschaften erlebten nach der Reichsgründung von 1871 einen starken Rückgang. War noch das 1. Deutsche Bundesschießen in Frankfurt am Main 1862 eine machtvolle nationale Demonstration mit fast 10.000 Teilnehmern gewesen, kamen 1872 zum 4. Bundesschießen nach Hannover nicht einmal mehr die Hälfte. Im Jahr 1900 waren es in Dresden gerade mal noch 2000 Schützen.

Die Ursache dafür liegt in der Vielzahl an Krieger- und Veteranenvereinen, die im Kaiserreich wie Pilze aus dem Boden wuchsen und die einerseits in einem zunehmend militaristisch gesinnten Umfeld das Schießen mit Militärgewehren propagierten und ausübten und andererseits mit Großmacht- und Kolonialparolen die nationalistischen Gefühle großer Teile der Bevölkerung bedienten. Die Schützengesellschaften und der Deutsche Schützenbund hingegen blieben zwar national gesinnt aber gemäßigt und im Großen und Ganzen politisch neutral. Eine ideologische Aufrüstung fand im Schützenwesen nicht statt.

Auch die Entwicklung der Schießsportdisziplinen vollzog sich sehr schleppend und unter zum Teil scharfen verbandsinternen Kontroversen. Wettkämpfe mit Armeegewehren, die im Ausland allgemein üblich waren, konnten sich nur allmählich und als Randdisziplinen durchsetzen, nachdem im Rahmen des 16. Deutschen Bundesschießens in Hamburg 1909 erstmals auf deutschem Boden die Weltmeisterschaften im Sportschießen stattgefunden hatten. Gleiches gilt für Wettkämpfe mit dem schon vor 1914 in seiner Popularität steigenden Kleinkalibergewehr. In den Schützengesellschaften und bei den Wettkämpfen der Deutschen Bundesschießen wurde in erster Linie mit den traditionellen, für militärische Zwecke ungeeigneten Scheibengewehren geschossen, in Süddeutschland verbreitete sich daneben der Zimmerstutzen sehr stark.

Auch in der Weimarer Zeit war das Schießen - stark eingeschränkt durch die Bedingungen des Versailler Friedensvertrags - im Deutschen Schützenbund reiner Sport im klassischen Sinn, und zwar nach wie vor mit den Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten Gewehren. Zwar gab es gegen Ende der Zwanziger Jahre auch Tendenzen, das Wehrsportverbot mithilfe Militärgewehr ähnlicher Kleinkaliberwaffen zu umgehen und damit die Nachwuchsarbeit zu fördern. Doch insgesamt blieb das traditionelle Scheibenschießen, wie es seit 1861 mit kaum veränderten Regeln praktiziert wurde, für den Verband, die ihm angeschlossenen Vereine und auch für den größten Teil der nicht organisierten, vor 1914 gegründeten Schützengesellschaften die vorherrschende sportliche Aktivität. Auch die Einführung des „Wehrmanngewehrs“ und die Bildung von Jungschützenabteilungen konnte nicht verhindern, dass der Deutsche Schützenbund mit etwa 40.000 Mitgliedern zu Beginn der Dreißiger Jahre hinter dem „Reichsverband Deutscher Kleinkaliber-Schützenverbände“ (ca. 400.000) und dem „Kartell für Jagd- und Sportschießen“ (ca. 60.000) nur der drittgrößte Schießsportdachverband in Deutschland war.

Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde von der Führung des Deutschen Schützenbundes zunächst als eine bürgerlich-konservative Erneuerung des Staatslebens begrüßt. Man erhoffte sich einen Ausweg aus der inneren Zersplitterung des Landes im Allgemeinen und eine Zusammenführung der vielfach gespaltenen und in Konkurrenzkämpfe verstrickten Sportlandschaft im Besonderen.

Wie in allen anderen Sportverbänden so wurde auch im Deutschen Schützenbund die Gleichschaltung von der Verbandsspitze selbst aktiv mitbetrieben, allerdings mit dem Kalkül, sich dadurch eine gewisse Selbständigkeit erhalten zu können. Dies gelang zeitweise, zumal der Deutsche Schützenbund als kleinste aber effektivste „Fachgruppe“ im vom Reichssportkommissar (später Reichssportführer) Tschammer und Osten geschaffenen „Deutschen Schützenverband“ mit der Vorbereitung und Durchführung der Schießwettbewerbe bei den Deutschen Kampfspielen von 1934 in Nürnberg und bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin betraut wurde.

Um der vollständigen Zerschlagung zu entgehen und das materielle und ideelle Vermögen des Verbandes zu retten, gründete der Vorstand des Deutschen Schützenbundes im Oktober 1935, kurz vor dem diktierten Auflösungstermin, den „Verein zur Erhaltung und Weiterführung des Deutschen Schützenmuseums“. Daneben konnte die Liquidierung des Verbandes und seine Löschung aus dem Vereinsregister weiter hinausgezögert werden. Unmittelbar nach den Olympischen Spielen von Berlin setzte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) diesem Taktieren ein Ende: Unter der Berufung auf die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933“ (sog. „Reichstagsbrandverordnung“) wurde am 25. September 1936 der Verein des Schützenmuseums aufgelöst und sein Vermögen wie auch das des Deutschen Schützenbundes von der Polizeidirektion Nürnberg-Fürth beschlagnahmt. Die Vorsitzenden des Vereins und des Schützenbundes, die beiden Nürnberger Peter Lorenz und Dr. Christian Toepfer, wurden verhaftet.

Als Begründung führte die Polizeidirektion an: „Die Führer des Vereins ‚Schützenmuseum’ haben sich wiederholt und systematisch in gemeiner und abfälliger Weise über führende Persönlichkeiten von Partei und Staat ausgelassen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit haben sie ihre grundsätzlich ablehnende Einstellung zum Dritten Reich und seinen Einrichtungen zu erkennen gegeben. Mit Rücksicht auf die Schwere dieser Verfehlungen mussten die beiden führenden Personen des Vereins dem Gericht überstellt werden. [...] Unter diesen Umständen kann von dem Verein nicht mehr gesagt werden, dass er in einem nationalsozialistischen Staate der gemeinsamen Aufbauarbeit eine Existenzberechtigung hat. Vielmehr wirkt er im nationalsozialistischen Vereinsleben schon durch seine Existenz als ständiger Unruheherd.“

Zwar kamen beide Funktionäre nach einer Woche wieder frei, mussten jetzt aber unter der Aufsicht der Gestapo die Liquidation des nunmehr enteigneten Deutschen Schützenbundes verwaltungstechnisch zu Ende führen. Eine diesen Prozess satzungsgemäß abschließende Mitgliederversammlung wurde von der Behörde verboten und der Deutsche Schützenbund am 22. April 1938 aus dem Vereinsregister gestrichen.

Die Nationalsozialisten standen dem Schützenwesen skeptisch gegenüber: Ihre Traditionen und Rituale waren ihnen zu kompliziert, teilweise unverständlich und deshalb verdächtig. Der germanische Ursprung des volkstümlichen Vogelschießens konnte nicht eindeutig nachgewiesen werden, das traditionelle Schießen, wie es mit seinen vielen uneinheitlichen Regeln in der Mehrzahl der Vereine ausgeübt wurde, war vollkommen unpraktisch und taugte nicht zur paramilitärischen Ausbildung der Jugend. Die Schützen selbst waren starrsinnig, wenn es um Fahnen, Uniformen und Symbole ging, auf die die Nazis selbst soviel Wert legten. Sie waren auch auf den Schießständen im Weg, die zwar den Vereinen gehörten, aber für die Übungen der SA und später der Hitlerjugend gebraucht wurden.

Auch auf der Vereinsebene war das Verhältnis der Schützen zum Nationalsozialismus ein Wechselspiel von Beteiligung und Resistenz, von Anpassung bis hin zu vereinzeltem Widerstand. Die unüberschaubare Vielzahl und die Verschiedenheit der Schützengesellschaften, die hauptsächlich auf dem Land sehr oft nicht einmal einer regionalen oder überregionalen Dachorganisation angehörten, verhindert jede pauschale Aussage. Von einer grundsätzlichen Affinität der Schützen zum Nationalsozialismus kann keine Rede sein.

Bundesschießen Leipzig, 1934
Bundesschießen Leipzig, 1934